Anzeige

„In den Heimen wartet viel Arbeit auf uns“

Dr Bleiel behandelt im Seniorenheim.

Dr. Dirk Bleiel behandelt einmal pro Woche Senioren in einer Pflegeeinrichtung.

Seit zehn Jahren ist Dr. Dirk Bleiel Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ). Jeden Donnerstag verlässt er seine Praxis und behandelt ältere Patienten in einer Pflegeeinrichtung, mit der er einen Kooperationsvertrag geschlossen hat. Warum die Alterszahnmedizin in seinen Augen einen immer wichtigeren Platz im beruflichen Alltag der Zahnärzte einnehmen wird, erklärte er DZW-Redakteurin Evelyn Stolberg im Interview.

Beim Wittener Tag der Zahnmedizin am 22. September 2018 halten Sie einen Vortrag zur aufsuchenden Betreuung. Worauf werden Sie dabei eingehen?

Dr. Dirk Bleiel: Ich werde dort mein Konzept für die aufsuchende Betreuung vorstellen, Schritt für Schritt, wie bei einem Rezept im Kochbuch. Dabei geht es mir vor allen Dingen darum, die Kollegen zu motivieren, auch mal ihre Praxis zu verlassen. In den Heimen wartet viel Arbeit auf uns. Die ist nicht nur medizinisch sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich darstellbar.

Am 1. Juli 2018 ist Paragraf 22a SGB V in Kraft getreten. Dadurch haben Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen einen verbindlichen Rechtsanspruch auf zusätzliche zahnärztliche Vorsorgemaßnahmen im Rahmen der GKV. Glauben Sie, das wird eine deutliche Verbesserung bringen?

Bleiel: Unbedingt! Durch Paragraf 22 a können endlich Prophylaxeleistungen von allen Pflegebedürftigen in Anspruch genommen werden: Im Pflegeheim, zu Hause und in der Praxis. Mundhygienestatus und Mundhygieneinstruktion konnten bisher nur bei einer Kooperation mit einer Einrichtung über die GKV abgerechnet werden. Jetzt können wir diese Leistungen im BEMA ortsunabhängig erbringen. Das ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Mundgesundheit bei allen Pflegebedürftigen.

Wie meinen Sie das konkret?

Bleiel: Ich meine damit, dass wir Zahnärzte durch die neuen Kassenleistungen die Möglichkeit erhalten haben, auch in der Praxis verstärkt über die Mundgesundheit aufzuklären und die Angehörigen sowie die Senioren anzuleiten. Dadurch können wir bereits frühzeitig, sozusagen bei Beginn einer „Pflegekarriere“, vermitteln, welche Maßnahmen jetzt notwendig sind: Wie soll die Ehefrau zum Beispiel mit der Zahnprothese ihres Mannes umgehen? Wie und womit putzt sie ihm die Zähne?

Meine Hoffnung ist, dass wir durch die zusätzlichen Vorsorgemöglichkeiten ähnliche Erfolge erzielen werden wie damals in der Kinderzahnheilkunde. Die Aufnahme der IP-Leistungen bei Kindern war eine durchschlagende Erfolgsstory! Ich hoffe, dass dieses Erfolgsmodell auf die pflegebedürftigen Senioren übertragen werden kann.  

Dr. Dirk Bleiel im Seniorenheim.

Beim Wittener Tag der Zahnmedizin am 22. September 2018 wird Dr. Dirk Bleiel über sein Konzept der aufsuchenden Betreuung sprechen.

Wo sehen Sie die Herausforderungen in der Alterszahnmedizin – heute und für die nächsten Jahre?

Bleiel: Die größte Herausforderung ist, noch mehr Kollegen mit ins Boot zu holen, damit wir eine flächendeckende Versorgung gewährleisten können. Es gibt zwar viele schöne Leuchtturmprojekte in der Seniorenzahnmedizin, aber wir müssen das Thema noch viel mehr auswalzen. Auch in der Ausbildung im Bereich der Universitäten. Daher ist dieser Tag der Zahnmedizin in Witten ein wichtiger Schritt.  

Der nächste wichtige Punkt ist, die Ausbildung der Pflegekräfte weiter zu verbessern. Damit meine ich nicht nur die, die in der stationären Pflege tätig sind, sondern auch die in der ambulanten. Aktuelle Zahlen belegen, dass 70 Prozent der Pflege zu Hause stattfindet. Diese Patienten zu erreichen, ist sehr schwierig. Aus diesem Grund müssen Pflegekräfte stärker in der Mundhygiene geschult werden, damit sie ihr Wissen in die Heime, aber auch in die Häuser tragen.

Sie sind einer von bundesweit 77 Spezialisten für Seniorenzahnmedizin. Wodurch könnte man noch mehr Kollegen für diesen Bereich begeistern?  

Bleiel: Ich kann nur immer wieder betonen, dass dieses stark wachsende Gebiet fachlich sehr interessant ist. Es gibt Senioren, die sind fit, spielen Golf und haben viel Geld, andere sind arm oder multimorbide. Die Bandbreite in der Seniorenzahnmedizin ist riesig. Man muss immer wieder neu überlegen, welche zahnmedizinische Lösung zum Allgemeinbefund und zum Patienten passt.
Natürlich müssen der zeitliche Mehraufwand und die spezielle Behandlung pflegebedürftiger Patienten finanziell noch besser honoriert werden. Doch wir haben schon viel erreicht. Man muss heutzutage kein Gutmensch mehr sein, um Senioren zu behandeln. Es lohnt sich auch wirtschaftlich.

Was empfehlen Sie – als Praktiker – Kollegen, die sich im Bereich Seniorenzahnmedizin ein Standbein aufbauen möchten?

Bleiel: Zeigen Sie Empathie, sehen Sie die Welt in den Augen der Senioren. Besuchen Sie das Curriculum Seniorenzahnmedizin der APW und bauen Sie sich ihr Praxiskonzept auf. Schließen Sie zusätzlich ein Kooperationsvertrag mit einer Einrichtung ab. Entscheidend ist dabei, dass Sie sich ein Heim suchen, das einen Kooperationsvertrag auch wirklich will. Leider gibt es immer Pflegeeinrichtungen, die mit den Aufgaben, die sie täglich leisten müssen, am absoluten Limit sind. Sie haben Angst vor weiteren Aufgaben sowie Mehrbelastung und stehen uns Zahnärzten deshalb skeptisch gegenüber. Aus diesem Grund müssen wir die Träger oder Pflegedienstleiter davon überzeugen, dass sie durch eine gute Mundgesundheit ihrer Bewohner einen absoluten Benefit haben. Zum Glück gibt es natürlich auch viele Seniorenheime, die unsere Arbeit zu schätzen wissen. Seniorenzahnmedizin ist sehr erfüllend und abwechslungsreich – in der Praxis, aber auch mobil.  


Wittener Tag der Zahnmedizin 2018

Am 22. September 2018 beginnt die neue Veranstaltungsreihe „Wittener Tag der Zahnmedizin“, den die Universität Witten/Herdecke ins Leben gerufen hat. Das Leitthema ist die Alterszahnmedizin. Weitere Informationen sowie Möglichkeiten zur Anmeldung gibt es unter www.uni-wh.de/tdzm. Teilnehmer erhalten 9 Fortbildungspunkte. Als Einstimmung bietet die DZW online eine umfangreiche Artikelserie zum Thema Seniorenzahnmedizin