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Geriatrisches Syndrom: Veränderungen im oralen Mikrobiom

Malnutrition im Senium

Das geriatrische Syndrom beschreibt Problemkonstellationen, welche sich durch altersphysiologische Gegebenheiten und natürliche Abbauprozesse ergeben. In Kombination mit den im höheren Lebensalter gehäuft auftretenden Systemerkrankungen, wie metabolische Störungen oder Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems, ergeben sich daraus oft schwerwiegende Konsequenzen für die betroffene Personengruppe.

Problem Unter- oder Mangelernährung

Eine der häufigsten Probleme alter, pflegebedürftiger Patienten ist die Unter- oder Mangelernährung. Ihre Ursache liegt in zu geringer oder einseitiger Diät, welche zu Gewichtsverlust und den daraus resultierenden Folgen wie allgemeiner Schwäche, Erschöpfung sowie Abbau von Muskulatur und Fettgewebe führt.

Der Mund ist der erste Abschnitt des Verdauungstrakts. Gesundheit und Integrität der oralen Gewebe sind Voraussetzungen für die ausgewogene und ausreichende Ernährung. Zerkleinerung und Einspeichelung der Nahrung, sowie der Schluckvorgang ermöglichen erst die anschließende Verdauung und Verwertung von Kohlenhydraten, Eiweißen, Fetten, Vitaminen und Spurenelementen. Probleme bei der Mastikation haben, wie bereits im letzten Beitrag diskutiert, fatale Folgen für die gesamte Ernährungssituation. Doch die Erhaltung bzw. der Ersatz von verlorengegangenen Zähnen löst nicht alle Probleme.

Orale Flora als Spiegel gesunder Ernährung

Bekanntlich spielen unsere natürlichen Mikrobiome, wie die oralen und intestinalen Biozönosen eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der systemischen Gesundheit. Im optimalen Zustand dominieren in der Mundflora vor allem Streptokokken. Sie finden hier optimale Lebensbedingungen und stehen in ausgewogener Wechselwirkung mit den Komponenten des Immunsystems. Die meisten Spezies sind nicht pathogen, sondern gehören zur Residentflora, welche die ökologischen Nischen der Mundhöhle vor der überproportionalen Vermehrung pathogener Keime schützt.

Der Anteil dieser protektiven Bakterien an der Gesamtflora der Mundhöhle ist signifikant mit dem BMI der jeweiligen Person korreliert. Untersuchungen haben gezeigt, dass Patienten mit enteraler oder parenteraler Ernährung eine hochsignifikante Veränderung des oralen Mikrobioms mit Artenverarmung und Verdrängung der Normalflora aufweisen. Bei Unterernährten mit einem BMI von weniger als 20 nimmt der Anteil der Kokken massiv zu Gunsten potenziell pathogener und virulenter Erreger ab.

Ursache für diesen Switch in Richtung einer pathogenen Mikroflora sind beim geriatrischen Patienten vor allem der altersbedingte Verlust an Immunkompetenz und häufige Komorbiditäten. Nebenwirkungen erforderlicher Dauermedikationen führen zusätzlich zu Hyposalivation und damit zu einem Mangel an IgA, Lactoferrin und anderen antimikrobiellen Komponenten der Saliva. Durch den Speichelmangel ergeben sich Probleme beim Kauen, bei der Einspeichelung des Nahrungsbolus und beim Schluckvorgang, was die Nahrungsaufnahme erheblich erschwert.

Eingeschränkte Nahrungsaufnahme bei oralen Läsionen

Veränderungen des intraoralen pH-Werts unterdrücken die gesunde Mundflora. Artifizielle Oberflächen von Metallen und Kunststoffen von Prothesen sorgen zudem für eine tiefgreifende Veränderung des oralen Milieus mit Dominanz von Hefepilzen wie Candida, oft in Kombination mit primär nicht oralen Bakterien. Fungal-bakterielle Koaggregation von Candida mit pathogenen Keimen, wie Enterobakterien und Staphylococcus aureus resultieren in rezidivierenden Stomatitiden.

Wunde, schmerzende, oft sogar blutende Mundschleimhaut und Erosionen der oralen Mukosa sind dann nicht selten Ursache für einseitige, nur halbflüssige oder sehr weiche Ernährung, im schlimmsten Fall sogar für völlige Verweigerung der Nahrung. Candida albicans ist der wichtigste Verursacher einer oropharyngealen Candidose, da sie als einzige Spezies über spezielle Pathomechanismen zur Gewebsinvasion verfügt. Sie exprimiert in ihrer Hyphenform Gene wie Als3 und Ssa1, welche für Adhäsine und Invasine codieren. Sämtliche andere Candidaarten können nur in Kooperation mit C. albicans die Epithelschranke überwinden und in Blutgefäße eindringen. Aus diesem Grund werden über 80 Prozent der oralen Candidosen und 50 Prozent der Candidämien von dieser Spezies ausgelöst.

Ursachen für Gewichtsverlust

C. albicans ist ein aktiver Biofilmbildner. Fetzchen dieser Plaques werden verschluckt und geraten zunächst in die Speiseröhre. Beim eingeschränkt immunkompetenten alten Menschen kann sich der Sprosspilz dort etablieren und die gefürchteten Sooroesophagitis verursachen. Typisches Symptom ist eine Odynophagie mit Bolusgefühl, Schmerzen und retrosternales Brennen.

Noch dramatischer wird die Situation bei einem, bei älteren Menschen häufigen, gastrooesophagealem Reflux (GERD). Dieser entsteht durch Sphinkterschwäche des Magens und wird auch durch Zwerchfellhernien begünstigt. Der aufsteigende saure Magensaft verursacht Läsionen des Speiseröhrenepithels, welches dann noch leichter durch die aus der Mundhöhle eingebrachte Candida besiedelt und entsprechend massiv destruiert wird.

Zudem begünstigt die parodoxe Hyposalivation bei GERD rückwirkend eine Zunahme der oralen Candidiasis – beide Krankheitsbilder exazerbieren. Orale und oesophageale Läsionen machen dann eine normale Ernährung fast unmöglich. Das pathologisch veränderte orale Mikrobiom hat auch Auswirkungen auf die Darmflora. Ältere Menschen leiden nicht selten an Verdauungsproblemen. Über Verschlucken werden Candida albicans und andere virulente Keime in eine in die Darmflora eingebracht. Es kommt zu pathologischen Veränderungen und überproportionalem Wachstum der Hefe mit schweren Reizdarmsymptomen und Verdauungsproblemen, welche wiederum zu Gewichtabnahme mit allen negativen Auswirkungen für den alten Menschen einhergehen.

Die Erhaltung beziehungsweise Reetablierung einer gesunden artenreichen Mundflora ist neben der technischen oder prothetischen Versorgung zur Aufrechterhaltung der Kaufunktion eine wichtige Voraussetzung für die gesunde Ernährung auch im hohen Alter.

DDr. Christa Eder, Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin, Wien

Titelbild: Karin & Uwe Annas – stock.adobe.com

DDr. Christa Eder

ist Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin. Seit vielen Jahren schreibt sie für das österreichische Fachmagazin „Zahn.Medizin.Technik“ und die deutsche Fachzeitung „dzw – Die ZahnarztWoche“. Auch ist sie als Vortragende im Bereich der zahnärztlichen Mikrobiologie international bekannt.

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