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Rückblick

Den Blick voraus in eine bessere Zukunft?

Den Blick voraus in eine bessere Zukunft?

„Den Blick voraus“ – so titelt der aktuelle Geschäftsbericht der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Das klingt visionär. Das Vorwort steht unter dem Motto „Zukunft planen heißt Ziele formulieren“. Hierauf folgen brav getextete Passagen zu präventionsorientierten Versorgungskonzepten zur „Bekämpfung der Volkskrankheit Parodontitis“ und zur Digitalisierung. Beim Thema Zahnmediziniaches Versorgungszentrum (ZMVZ) wird der Tonfall schärfer und besteht im übrigen aus den bekannten Textbausteinen „Katalysator für Unterversorgung“, „Kommerzialisierung und Kettenbildung“ durch „Groß- und Finanzinvestoren“. Dagegen stellt der Vorstand der KZBV – Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands, Dr. Karl-Georg Pochhammer und ZA Martin Hendges, stellvertretende Vorsitzende – das „jahrzehntelang gültige Versorgungsversprechen tradierter Praxisformen“.Das Vorwort endet dann mit den Worten: „Wir handeln dabei in der Kontinuität des Bewährten, mit dem Blick voraus für Neues. Und wir sind stolz, sagen zu können: Dafür arbeiten wir mit aller Kraft!“
Klar, kann man alles so sagen und schreiben. Das haben wir aber auch alle schon gehört und gelesen. „Den Blick voraus“ stelle ich mir anders vor. Der eigentliche Geschäftsbericht beginnt dann vielversprechend: „Den Blick voraus zu richten, das bedeutet für die Vertragszahnärzteschaft insbesondere, künftige Herausforderungen in einer wandelbaren und sich zunehmend beschleunigenden Welt rechtzeitig zu antizipieren, zu fokussieren und aktiv Versorgungslösungen zu gestalten.“ Die Bildsprache dazu: Yachtenflair, Kapitän, „Den Blick voraus“.
Nun folgt erst einmal der Blick zurück. Ein minutiöser Tätigkeitsbericht mit schönen Infografiken. Und schönen Bildern: weite Landschaft, klettern, noch mehr schöne Infografiken, abendliche Stadt mit Langzeitbelichtung, Hafen, Dom - Hohenzollernbrücke – Kölle.
Dann kommen Zahlen und das Wachkoma ist beendet. Zahl der Kooperationsverträge in der aufsuchenden Betreuung steigt. Check. Gewinn der Praxen steigt. Zahl der angestellten Zahnärzte steigt. Check. Der KZBV-Haushalt beträgt 18.206.438 Euro. Hui. Abkürzungsverzeichnis. Impressum. Schluss.

Schöne Bilder, war noch was?

Habe ich da etwas überlesen? Wo war denn da das Antizipieren oder das Gestalten? Ich gebe in die Suchmaske den Begriff „Frau“ ein. Erster Treffer auf Seite 26: „Das Amt des FDI-Präsidenten wird in den nächsten zwei Jahren von einer Frau bekleidet.“ Eine Frau im Amt scheint eine Extra-Erwähnung wert? Treffer zwei auf Seite 52: „Der Frauenanteil im Beruf beträgt rund 44 Prozent und wird deutlich zunehmen.“ Weitere Treffer gibt es keine. Und das beschreibt das Dilemma des Status Quo. Es gibt viele, viele junge Zahnärztinnen in unserem Land. Doch wird dieser Umstand nur konstatiert. Keine Konsequenzen. Die Doppelseite 30/31 des Berichts zeigt alle Vorstände der KZVen plus KZBV. 48 Personen, davon drei – in Worten drei – Frauen. Das sind 6,25 Prozent. Das gefühlte Durchschnittsalter 50+. Das bin ich auch, kein Problem. Aber damit sind die jüngeren 50 Prozent der Zahnmediziner gar nicht in den Spitzenpositionen vertreten. Antizipieren? Gestalten?

ZMVZ?

Man kann aus vielen, sicher auch manch guten Gründen gegen ZMVZ sein. Aber sie bieten ein attraktives Umfeld für viele junge Zahnmediziner. Es gibt Möglichkeiten für Teilzeit, Verwaltung wird irgendwo zentral abgewickelt, mehr Zeit für die eigentliche zahnmedizinische Tätigkeit. Beruf, Kinder, Familie, Work-Life-Balance – die Vorzüge des Angestellten-Daseins für die jüngere Generation sind hinlänglich benannt.
Kommen wir zur Generation 50+. Sie stellt eine Häfte der Zahnärzteschaft und die reflektiert bereits ihre Zeit nach dem Zahnarztleben. Für viele war die eigene Praxis Teil der Altersvorsorge. Was passiert nun, wenn Praxisinhaber keine Nachfolger finden? Das Angebot von Praxen mit Nachfolgebedarf steigt und wird weiter steigen. Die Nachfrage der jüngeren Generation, in die Selbstständigkeit zu gehen, sinkt. Angebot und Nachfrage passen im alten Modell der „jahrzehntelang gültigen Versorgungsversprechen tradierter Praxisformen“ nicht überein. Punkt. Ende Gelände. Dass ältere Zahnärzte dann ihre Praxen an Investoren verkaufen, bevor sie sie verschenken oder einfach schließen, wird kaum jemand übel nehmen können. Sie haben ja oft genug keine andere Wahl.
Jens Spahn formuliert diesen Wandel in einem Interview mit der ÄrzteZeitung folgendermaßen: „Wir müssen akzeptieren, dass Ärzte heute andere Lebensentwürfe haben. Viele wollen ärztlich tätig sein, aber nicht betriebswirtschaftlich selbstständig. Darauf müssen wir mit der Ausbildung reagieren, mehr Mediziner zum Studium zulassen. Die Einzelpraxis ist kein Auslaufmodell. Aber sie ist ein Modell von vielen. Es braucht mehr Vielfalt und Flexibilität.“ Man muss Jens Spahn nicht mögen, die Fähigkeit zu antizipieren und einen Willen zu gestalten, kann man ihm aber nicht gut absprechen. Von Lösungsansätzen zu den bekannten Problemen ist in dem Geschäftsbericht der KZBV leider wenig zu lesen.