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Neue Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen

Behandlerin mit Mundschutz und Instrumenten

Anfang November dieses Jahres wurde nach 18 Jahren die Klassifikation der Parodontalerkrankungen erneut diskutiert und vollständig überarbeitet. Dazu organisierten die European Federation of Periodontology (EFP) und die American Academy of Periodontology (AAP) einen World-Workshop und luden 110 klinisch und wissenschaftlich renommierte Parodontologen vom 9. bis 11. November nach Chicago ein.

Prof. Søren Jepsen, ehemaliger EFP-Präsident und Vorstandsmitglied des wissenschaftlichen europäischen Dachverbands, war einer der verantwortlichen Gestalter des Workshops. In einem Interview beschreibt er Ziele, Organisation und Ablauf des Workshops und gibt einen ersten Ausblick auf die erzielten Ergebnisse. Prof. Jepsen ist Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde der Universität Bonn.

Die Vorbereitungen für den Workshop begannen schon vor drei Jahren, was machte diese lange Planung nötig?

Prof. Søren Jepsen: Wir sind bereits 2014 mit dieser Idee an unsere amerikanischen Kollegen in der AAP herangetreten, weil wir überzeugt waren, dass es sinnvoll ist, eine neue Klassifikation nur im internationalen Konsens zu erarbeiten. 2015 kam dann eine AAP-Delegation zur „EuroPerio 8“ nach London und wir beschlossen gemeinsam zu handeln. Im Sommer 2015 haben wir uns dann auf die Themen, Arbeitsgruppen und diejenigen Experten geeinigt, welche die Hintergrundübersichten zu den jeweiligen Themen vorbereiten sollten. Diese wurden dann Ende 2015 dazu eingeladen.

2016 haben wir dann alle Teilnehmer für den Workshop ausgewählt, was sehr aufwendig war, da wir nicht nur Europäer und Amerikaner, sondern auch weltweit Experten für Parodontologie beteiligen wollten. Der Anspruch war und ist, erstmals eine global akzeptierte parodontale Klassifikation zu erhalten. Aus meiner Sicht besonders erfreulich ist, dass die deutschsprachigen Teilnehmer eines der größten Expertenkontingente darstellten. Dies zeigt, dass die deutsche Parodontologie international den Anschluss hergestellt hat und ein hohes Ansehen genießt. Das war früher keineswegs der Fall.

Die Arbeit an den Hintergrundpublikationen war für die Autoren sehr intensiv, die angefertigten Reviews wurden jeweils an fünf bis sechs Gutachter verschickt – in diesem Stadium wurde im Peer-Review im Verlauf von mehreren Revisionen bereits die erste Konsentierung vorgenommen. Aber wir haben es geschafft, alle Paper wurden vor dem Workshop fertiggestellt und zur Publikation angenommen. Sie wurden dann im Vorfeld an alle Teilnehmer verschickt, damit sie alle mit dem gleichen Wissensstand in ihre Arbeitsgruppen in Chicago gehen konnten.

Wodurch ergab sich die Einteilung in die vier Arbeitsgruppen?

Prof. Søren Jepsen: Sie ergab sich schon im Verlauf der Planungsphase. Von vornherein war klar, dass die periimplantären Erkrankungen neu hinzukommen würden, damit stand eine AG fest. Gingivale Erkrankungen und Parodontitis waren ebenfalls schnell jeweils als eigenständige Schwerpunkte festgelegt. Schließlich wurden systemische Aspekte in der dritten AG unter dem Thema „parodontale Manifestationen systemischer Erkrankungen“ zusammengefasst und auch die entwicklungsbedingten und erworbenen Zustände (zum Beispiel Rezessionen) thematisiert.

Trotz aller Planung muss man sagen: Zum Zeitpunkt, als wir alle nach Chicago anreisten, war das Ergebnis völlig offen. Wir hatten basierend auf den Hintergrundsübersichten Fragen vorbereitet, deren Antworten sich aber erst im World-Workshop ergeben sollten.

Wie verlief der Workshop und wie gelang die Überführung der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen in die neue Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen?

Prof. Søren Jepsen: Im Workshop haben wir intensiv und konzentriert in den Arbeitsgruppen diskutiert, und abends wurden die erarbeiteten Antworten dem gesamten Plenum präsentiert. Wenn kritische Anfragen auftauchten, ging es wieder zurück in die Arbeitsgruppen. Geschlafen haben wir alle sehr wenig. Dennoch war die Stimmung hervorragend.

Wie geht es nun weiter, wann werden die Ergebnisse des Workshops veröffentlicht?

Prof. Søren Jepsen: So wie die Planung des Workshops seine Zeit gebraucht hat, ist auch die Veröffentlichung der Ergebnisse ein längerer Prozess: Die vier Konsensusberichte werden gegenwärtig feinpoliert, das wird noch einige Wochen dauern. Die Beiträge mit den Hintergrundübersichten und die neu erarbeitete Klassifikation werden im März/April 2018 in den wissenschaftlichen Zeitschriften „Journal of Clinical Periodontology“ und „Journal of Periodontology“ veröffentlicht und im Juni 2018 erstmals offiziell auf der „EuroPerio 9“ in Amsterdam vorgestellt. Danach werden sich die nationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaften darum kümmern, die neue Klassifikation zu verbreiten. Schließlich wird sie hoffentlich Einzug in Lehrbücher und studentische Curricula halten. Die DG Paro wird sich bereits auf ihrer Frühjahrstagung mit einzelnen Aspekten der neuen Klassifikation beschäftigen.

Was ist nun für den Anwender in seiner alltäglichen Praxis neu?

Prof. Søren Jepsen: Eine ganze Menge! Voraussichtlich wird in Zukunft nicht mehr zwischen chronischer und aggressiver Parodontitis unterschieden werden. Dies hat in der Praxis immer wieder Probleme bereitet. Es wird voraussichtlich eine Entscheidungsmatrix mit einem „Staging und Grading“-Konzept geben, um der Komplexität der jeweiligen Patientensituation Rechnung zu tragen. Und erstmals überhaupt werden periimplantäre Erkrankungen mit einbezogen, was angesichts deren rasant steigender Prävalenz sicher außerordentlich wichtig ist.

Eine der wichtigen Vorgaben, die wir uns selbst gegeben haben, war: eindeutige Fallpräsentationen zu verabschieden und dazu auch diagnostische Kriterien mitzuliefern, damit die Klassifikation in der Praxis einfach angewendet werden kann. Dieses war ein Manko der alten Klassifikation von 1999.

Das Interview führte Karen Nathan