Anzeige
Neurodegenerative Erkrankungen und Parodontitis (1)
Amyloid-Plaques

Neuronen mit Amyloid-Plaques

Die Alzheimerkrankheit ist mit weltweit 24 Millionen Betroffenen die häufigste Ursache für Demenz. Der Anteil Erkrankter in der Bevölkerung steigt mit zunehmendem Alter, in der Gruppe der Menschen älter als 85 Jahre sind es bereits 50 Prozent.

Die genauen Ursachen für Entstehung und Auftreten der Alzheimerdemenz sind nicht restlos geklärt. Bei einem kleinen Teil der Erkrankten dürften genetische Risikofaktoren wie Mutationen in drei Genen, die für Vorläuferproteine der Betaamyloide kodieren, zu einem ungewöhnlich frühen Auftreten des Morbus Alzheimer führen. Für den sporadischen, erst im höheren Alter manifesten Typ werden unterschiedliche Faktoren wie erhöhte Belastung mit Schadstoffen (Aluminium), metabolische Erkrankungen und familiäre Vorbelastung diskutiert. Zahlreiche Studien belegen, dass entzündliche Prozesse und die damit einhergehenden erhöhten Titer an proinflammatorischen Zytokinen eine wichtige Rolle im Krankheitsgeschehen spielen.

Chronische Infektionen stimulieren Progression der Demenz

Bei der Alzheimerdemenz werden Plaques aus extrazellulär abgelagertem Amyloid-ß-Peptid (AßP) und Alzheimer-Fibrillen (intraneurale Fibrillen) aus hyperphospho­ryliertem Tau-Protein (P-Tau) gebildet. Dadurch kommt es zu einer Aktivierung der Mikroglia im Gehirn, die eine überschießende Produktion von Tumornekrosefaktoren (TNFa), Interleukinen (IL-1ß, IL-6) und Creaktivem Protein (CRP) bewirkt. Diese Entzündungsmediatoren führen rückkoppelnd zu einer weiteren Produktion von Amyloid und P-Tau, was letztlich die Neurodegeneration vorantreibt. Neben diesem direkt im Gehirn induzierten entzündlichen Prozess lösen auch erhöhte Level systemischer proinflammatorischer Moleküle, die die Blut-Hirn-Schranke passieren, ähnliche Prozesse aus.

Parodontitis ist bekanntlich eine mit akuten entzündlichen Schüben verlaufende chronische, de­struktive Erkrankung des Zahnhalteapparats. Sie wird durch vorwiegend anaerobe und fakultativ anaerobe in Biofilmen organisierte Bakterien ausgelöst und aufrechterhalten. Viele dieser Keime sind gewebeinvasiv und lösen über die in ihren Zellmembranen enthaltenen Lipopolysaccharide und weitere Pathogenitätsfaktoren eine zunächst lokale Überstimulation der Immunabwehr aus. Epithel und Bindegewebe werden mit segmentkernigen Granulozyten überschwemmt, Makrophagen und Lymphozyten werden zur massiven Produktion von Zytokinen stimuliert. Das bei einer starken Entzündung hoch vulnerable Zahnfleisch beginnt bereits bei geringen mechanischen Manipulationen wie Zähneputzen oder dem Kauen harter Nahrungsmittel zu bluten. Dadurch werden einerseits Keime aus dem Biofilm, andererseits auch die als Wirtsantwort auf den bakteriellen Stimulus produzierten Entzündungsmediatoren in die Blutbahn eingeschleust. Dieser Prozess erklärt die durch zahlreiche Forschungsergebnisse belegten Zusammenhänge zwischen Parodontitis und zahlreichen anderen Erkrankungen des Organismus.

Mögliche Querverbindung

Ähnliche Überlegungen gelten auch für eine mögliche Querverbindung zur Alzheimerkrankheit. Eine über Jahre hinweg persistierende mikrobiell verursachte Entzündung des Parodontiums führt zu einer signifikant erhöhten Produktion und Freisetzung von inflammatorischen Interleukinen, CRP und TNFa, welche einerseits über den Blutkreislauf, andererseits auch über den Nervus trigeminus direkt in das Gehirn gelangen. Hier bewirken sie Ähnliches wie die direkt im Gehirn produzier­ten Zytokine und verstärken so die Progression der neurodegenerativen Erkrankung. Besonders TNFa spielt eine zentrale Rolle bei Demyelnisierung, Gliose und Zelltod.

Mutationen im IL-1-Gen (IL-1A und IL-1B) führen über eine abgeschwächte Hemmung der Entzündungsreaktion zu besonderer Disposition und zu schweren Verlaufsformen parodontaler Erkrankungen. Auch bei Alzheimerpatienten konnte für spezifische Polymorphismen im IL-1-Gen ein erhöhtes Risiko und früheres Auftreten der Alzheimerkrankheit nachgewiesen werden.

Parodontalkeime können Blut-Hirn-Schranke überwinden

Neben der allgemein erhöhten Entzündungsbereitschaft können aber auch parodontale Bakterien selbst entweder durch Bakteriämie oder über periphere Nerven die Blut-Hirn-Schranke passieren. Für Treponemen ist dieser Mechanismus von Krankheiten wie Neurosyphilis und Neuroborreliose hinlänglich bekannt. Untersuchungen mittels PCR an Gehirnen verstorbener Alzheimerpatienten konnten in 14 von 16 Fällen Treponema denticola, einen mit Gingivitis und Parodontitis eng assoziierten Keim, nachweisen. In den Gehirnen einer gleich alten Vergleichsgruppe von Nicht-Alzheimerkranken fand sich die entsprechende Keim-DNA signifikant seltener (4/18) und auch in deutlich geringerer Konzentration. Aus anderen Studien ist bekannt, dass auch Aggregatibacter actinomyceten comitans, Porphyromonas gingivalis und Fusobacterium nucleatum die Blut-Hirn-Schranke passieren und zu pathologischen Veränderungen führen können. Diese Keime lösen unmittelbar vor Ort über ihre LPS Entzündungen aus. Tierversuche bestätigen diese Annahmen – so kann der Parodontalkeim Campylobacter rectus morphologische Veränderungen im Hippocampus von Mäusen hervorrufen.

Die Wechselwirkungen zwischen Parodontitis und Morbus Alzheimer bedürfen mit Sicherheit noch weiterer Forschungsarbeit. Allerdings ist ein Zusammenhang schon aufgrund der entzündlichen Genese und Progression wahrscheinlich.