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Neues aus der Forschung
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Jeden Monat werden viele Hundert zahn- und oralmedizinische Studien publiziert. Hier eine kleine Auswahl, diesmal zum Umgang mit phobischen Patienten, zum Zusammenhang zwischen Körperhaltung und Okklusion, über diagnostische Qualität unter Zeitdruck und individuelle Unterschiede bei subgingivaler Mikroflora.

Quintessenz_Team_Journal

Zahnbehandlungsphobie ist eine therapiebedürftige Erkrankung

Zahnbehandlungsphobie ist laut WHO eine Erkrankung (ICD 10 40.2) und hat laut Literatur eine Prävalenz von bis zu 20 Prozent. Im „Quintessenz Team Journal“ werden die wichtigsten Aspekte auf der Basis einer ausführlichen DGZMK-Stellungnahme von 2017 kurz zusammengefasst [1, 2]. Zahnbehandlungsphobien können sich auf eine einzelne Behandlungsmaßnahme beziehen, zum Beispiel die Lokalanästhesie.

Im Gegensatz zur nicht krankhaften Zahnbehandlungsangst ist die Phobie mit besonders stark ausgeprägter Angst („hohes Angstmaß“) verbunden und führt häufig dazu, dass Patienten Zahnarztbesuche vollständig vermeiden. Als Folge langjähriger Nichtbehandlung können bekanntlich schwere parodontale und kariöse Destruktionen auftreten. Diese können allgemeinmedizinische Folgeerkrankungen zur Folge haben oder begünstigen. Stellen sich Zahnbehandlungsphobiker in einer Praxis oder anderen Einrichtung vor, sollten sie nach den gleichen therapeutischen Grundsätzen wie nichtphobische Patienten behandelt werden. Eine Narkosebehandlung ist nur als letzte Möglichkeit angezeigt [1]. Ursächlich lassen sich Patienten nur durch nicht medikamentöse anxiolytische Verfahren therapieren, in der Regel psychotherapeutische Interventionen oder Hypnose.

Bei allen von Zahnbehandlungsphobie betroffenen Patienten ist eine sichere Schmerzausschaltung besonders wichtig. Da Kontrollverlust eng mit dem Vermeidungsverhalten verbunden ist, sollte das zahnärztliche Team dem Patienten ein Gefühl von Kontrolle über die Behandlungssituation vermitteln. Die Erkrankung lässt sich zum Beispiel mit dem Hierarchischen Angst-Fragebogen nach Prof. Dr. Peter Jöhren diagnostizieren.

Okklusion möglicherweise über Nerven mit Körperbalance verknüpft

Ein aktueller Übersichtsartikel kommt zu dem Ergebnis, dass eine nervale Verbindung zwischen stomatognathem System (einschließlich Okklusion) und der Körperhaltung besteht [3]. Eine „reziproke Verbindung zwischen trigeminalen und vestibulären Nuclei“ (des Gleichgewichtsorgans) spreche dafür, dass die Okklusion die Körperbalance beeinflusst. Weiterhin „scheinen okklusale Afferenzen für die Gleichgewichtskontrolle unter schwierigen Bedingungen gestärkt“ zu sein.

Damit sind Situationen mit instabiler Haltung, körperliche Aktivitäten und damit verknüpfte Ermüdung gemeint, die die Körperbalance beeinträchtigen können. Die Autoren der zitierten Literaturschau forschen an universitären Instituten für Sportwissenschaften oder Physiologie und Immunologie. Sie räumen ein, dass die Datenlage in Bezug auf Verbindungen zwischen stomatognathem System und Körperhaltung einschließlich Wirbelsäule kontrovers ist.

Bisherige Untersuchungen, die einen Zusammenhang verneinen, berücksichtigten aber nicht hinreichend die oben genannten dynamischen Faktoren.

Interessant ist der Fachbeitrag auch vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen, in denen es um die Rolle von Bewegungsapparat und Physiotherapie bei Craniomandulären Dysfunktionen geht (CMD). Ein offener Dialog – in Verbindung mit möglichst interdisziplinär angelegten Forschungsprojekten – könnte Licht in die von zahlreichen Expertenmeinungen geprägte Diskussion bringen.

Diagnostische Qualität hängt von Zeitdruck und Honorar ab

Unter Zeitdruck stellen Zahnmediziner auf Röntgenbildern signifikant weniger pathologische Diagnosen (Karies, parodontaler Knochenabbau) als ohne Zeitdruck. In einer randomisierten Studien erhielten 40 Zahnärzte je zwei Sätze von je sechs Bissflügelaufnahmen zur Bewertung [4]. Bei Zeitmangel und dadurch verursachtem Stress betrug die Sensitivität, also der Anteil festgestellter Befunde im Verhältnis zu den tatsächlich vorhandenen nur 0,5 – im Vergleich zu 0,8 ohne Zeitdruck. Es wurden also nur 50 Prozent anstelle von 80 Prozent relevanter Veränderungen gefunden.

Die Spezifität, also die Richtigkeit festgestellter Befunde und zugeordneter Diagnosen, war dagegen durch den Zeitdruck nicht beeinträchtigt. Die Autoren folgern, dass die stressbedingt oberflächliche Befunderhebung Patienten gefährden und dies auch forensische Folgen haben kann. Daraus lässt sich zunächst folgern, dass Zeitdruck nach Möglichkeit vermieden werden sollte. Ist das nicht möglich, sollte der Diagnostik eine angemessene Priorität eingeräumt werden, zum Beispiel durch Befundauswertung unter stressreduzierenden Bedingungen in einem separaten Raum (Schlussfolgerung Jan H. Koch).

Eine weitere Studie von 2018 spricht dafür, dass auch finanzielle Aspekte die Diagnostik in unangemessener Weise beeinflussen. So ließen englische Zahnärzte mehr Röntgenbilder aufnehmen, wenn diese einzeln honoriert werden [5]. Vergleichsgruppe waren Patienten, bei denen die Leistung fallbezogen (pauschal) honoriert wurde. Die Beobachtung dürfte auf andere Länder übertragbar sein.

Subgingivale Mikroflora variiert zwischen Patienten, weniger zwischen gesund und krank

In zwei Studien wurde die mikrobielle Besiedelung gesunder gingivaler Sulki oder parodontal und periimplantär erkrankter Taschen verglichen. Die gesunde subgingivale Mikroflora unterschied sich demnach sehr viel deutlicher zwischen verschiedenen Patienten als zwischen unterschiedlichen Zahnlokalisationen im selben Patienten ohne parodontale oder periimplantäre Erkrankung [6]. Relevant ist die Erkenntnis laut Autoren zum Beispiel für diagnostische Tests. Eine Übertragbarkeit auf pathologische Verhältnisse wäre allerdings noch zu prüfen.

Die zweite Studie, diesmal bei erkrankten Patienten, ergab ebenfalls erhebliche Unterschiede in der mikrobiellen Zusammensetzung der Plaque zwischen Patienten. Diese hatten jeweils sowohl parodontale, als auch periimplantäre Taschen [7]. Insgesamt wurden in Taschen und gesunden gingivalen Sulki mit modernen genetischen Sequenzierungsverfahren 5.726 taxonomische Einheiten (Spezies) identifiziert. In mehr als 90 Prozent der Entnahmestellen wurden jeweils 31 Kernspezies gefunden, vor allem aus den Stämmen Streptococcus und Fusobacterium. Die mikrobielle Zusammensetzung unterschied sich mit Abstand am stärksten zwischen Patienten (46 Prozent). Der Unterschied war signifikant größer als zum Beispiel zwischen parodontalen und periimplantären Taschen oder zwischen (erkrankten) Taschen und gesunden gingivalen Sulki.

Die Ergebnisse stimmen mit umfangreichen Daten überein, nach denen die Quantität und aktuelle Virulenz von Mikroorganismen bedeutsamer ist als ihre An- oder Abwesenheit. Die alleinige Bestimmung von Arten ist also wahrscheinlich nicht zielführend. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine aktuelle Literaturauswertung in Bezug auf begleitende systemische Antibiotikagabe in der Parodontitistherapie [8].


Literatur

[1] DGZMK, Arbeitskreis für Psychologie und Psychosomatik der DGZMK. Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie bei Erwachsenen. Wissenschaftliche Stellungnahme 2017. https://www.dgzmk.de/uploads/tx_szdgzmkdocuments/Zahnbehandlungsangst_und_Zahnbehandlungsphobie_bei_Erwachsenen.pdf
[2] Mehl C, Harder S. Über den Umgang mit Angstpatienten. Quintessenz Team-Journal 2017;47:623-624.
[3] Julià-Sánchez S, Álvarez-Herms J, Burtscher M. Dental occlusion and body balance: A question of environmental constraints? Journal of oral rehabilitation 2019;46:388-397.
[4] Plessas A, Nasser M, Hanoch Y, O’Brien T, Bernardes Delgado M, Moles D. Impact of time pressure on dentists’ diagnostic performance. Journal of Dentistry 2019;82:38-44.
[5] Chalkley M, Listl S. First do no harm – The impact of financial incentives on dental X-rays. Journal of Health Economics 2018;58:1-9.
[6] Ikeda E, Shiba T, Ikeda Y, Suda W, Nakasato A, Takeuchi Y, et al. Deep sequencing reveals specific bacterial signatures in the subgingival microbiota of healthy subjects. Clinical Oral Investigations 2019;23:1489-1493.
[7] Yu X-L, Chan Y, Zhuang L, Lai H-C, Lang NP, Keung Leung W, et al. Intra-oral single-site comparisons of periodontal and peri-implant microbiota in health and disease. Clinical Oral Implants Research 2019;30:760-776.
[8] Nibali L, Koidou VP, Hamborg T, Donos N. Empirical or microbiologically-guided systemic antimicrobials as adjuncts to non-surgical periodontal therapy? a systematic review. Journal of clinical periodontology; online 2019-06-28.

 

Hinweis: Dieser Beitrag kann nicht die klinische Einschätzung des Lesers ersetzen. Er soll lediglich – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Expertenempfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen.