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"Herabwürdigung der Zahnärzteschaft"
Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV

Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat am heutigen Montag die SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung verkündet, die morgen (Dienstag) in Kraft treten soll.
Die Zahnärzteschaft und mit ihr die etwa 290.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie rund 32.000 Auszubildende sind geschockt und äußern sich in einer Stellungnahme:

"Nachdem wir Ende März entgegen den nachdrücklich von der KZBV vorgetragenen Forderungen im Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz nicht berücksichtigt wurden, hat man zugesagt, in einem nachgelagerten Verordnungsverfahren einen Schutzschirm auch für die Zahnärzteschaft aufspannen zu wollen.

Die KZBV hat in beiden Verfahren umfangreiches Zahlenmaterial, Berechnungen und schlüssige Argumente in die politische Debatte eingebracht, die die dringende Notwendigkeit eines Schutzschirms zur Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung in Zeiten der Corona- Krise belegen. Nach unserem Vorschlag sollten die Krankenkassen neben einer Liquiditätshilfe für das Jahr 2020 mit 50 Prozent der coronabedingten Ausfälle der Zahnarztpraxen an der Sicherung der zahnärztlichen Versorgungsstrukturen beteiligt werden.

Bis zum 27. April gab es auf Basis des Eckpunktepapiers des BMG als auch des diesbezüglichen Referentenentwurfs klare Signale aus der Politik, dass man zumindest eine 30/70-prozentige Risikoteilung zum Gegenstand einer Verordnung machen würde.
Erst am 27. April erlangte die KZBV Kenntnis davon, dass diese Regelung auf Druck des SPD geführten Bundesfinanzministeriums hinfällig geworden sei und nunmehr nur noch eine Liquiditätshilfe mit einer 100-prozentigen Rückzahlungsverpflichtung seitens der Zahnärzteschaft Gegenstand der Verordnung sei.

Von einem Schutzschirm kann jetzt jedenfalls keine Rede mehr sein, da der Vertragszahnärzteschaft lediglich ein Kredit gewährt wird, der in den nächsten zwei Jahren mit viel Bürokratieaufwand vollständig zurückgezahlt werden muss. Damit werden die wirtschaftlichen Folgen der Krise für die zahnärztlichen Praxen nur nach 2021 und 2022 verlagert.

Mit dieser Verordnung erfahren die Zahnärzte mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Vergleich zu den Ärzten und selbst zu Heilmittelversorgern eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung und Herabwürdigung. Die Bedeutung der zahnmedizinischen Versorgung als Teil der Daseinsvorsorge in unserem Land wird bagatellisiert und in erheblicher Weise diskreditiert.
Die wirtschaftlichen Lasten der Krise werden in diesem Fall allein den Zahnärzten auferlegt. Hingegen wird die Mitverantwortung der Krankenkassen für die Sicherstellung funktionierender, zahnärztlicher Versorgungsstrukturen durch die Verordnung negiert.
Krankenkassen werden gleich in doppelter Weise von der krisenbedingten Notlage der Zahnärzteschaft profitieren: Zum einen durch die Minderausgaben im Jahr 2020, zum anderen werden sie in den beiden Folgejahren die vorgegebenen Rückzahlungen auf der Haben-Seite verbuchen können.

Es steht zu befürchten, dass es zu erheblichen Substanzverlusten in der vertragszahnärztlichen Versorgung kommen wird. Eine hundertprozentige Rückzahlungsverpflichtung trifft insbesondere junge Praxen und Praxen in strukturschwachen, ländlichen Regionen, die die hohen laufenden Kosten aus den Praxiskrediten, die Personalkosten und Mieten bei den drastisch wegbrechenden Umsätzen nicht mehr werden begleichen können.
Wir müssen mit einer gehäuften Rückgabe von vertragszahnärztlichen Zulassungen rechnen. Kolleginnen und Kollegen, die ansonsten vielleicht noch einige Jahre an der Versorgung teilgenommen hätten, werden resignieren und frustriert aufgeben.

Diese Verordnung setzt auch ein fatales Signal in die Gruppe der Studierenden und jungen, noch nicht niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte. War es in der letzten Zeit schon schwer, sie zu einer Niederlassung in freiberuflicher Praxis zu motivieren, wird dies in Zukunft vor dem Hintergrund der demonstrierten fehlenden Solidarität des Staates in Krisenzeiten kaum noch möglich sein. Die Verweigerung der Krankenkassen, sich auf Basis einer von der KZBV frühzeitig angestrebten bundesmantelvertraglichen Regelung angemessen an der Sicherstellung vertragszahnärztlicher Versorgungsstrukturen während und über die Krise hinaus zu beteiligen, rundet diese negative Bild ab.

Arbeitsplätze werden verloren gehen. Dies umso mehr, als in den vergangenen Wochen Bescheide der Arbeitsagenturen bekannt wurden, nach denen Zahnärzte kein Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen könnten, weil für sie ein (ärztlicher) Rettungsschirm aufgespannt worden sei. Dass diese rechtsfehlerhaften Bescheide zurückgenommen werden müssen, weil es bis dato gar keinen zahnärztlichen Rettungsschirm gegeben hat, ist aus unserer Sicht notwendige Folge. Ebenso dürfen solche Bescheide künftig nicht mit der Begründung ergehen, dass es nunmehr einen zahnärztlichen Rettungsschirm gebe, denn die jetzt vorgesehene Liquiditätshilfe ist wegen der bestehenden Rückzahlungsverpflichtung in keiner Weise mit dem ärztlichen Rettungsschirm vergleichbar.

Dass bei alledem eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung in Zukunft auf heutigem Niveau gesichert werden kann, muss als unrealistisch bezeichnet werden. Profiteure der Krise dürften mit allen negativen Folgen die von Fremdinvestoren betriebenen Zahnarztketten sein. Der fatale Weg in eine von zunehmender Vergewerblichung und Industrialisierung geprägten zahnärztlichen Versorgung ist mit dieser Verordnung politisch befördert worden.
Als Fazit bleibt: Die Politik stuft die vertragszahnärztliche Versorgung als nicht schützenswert ein. Die Zahnärzteschaft wird mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Krise alleine gelassen.
Davon kann auch nicht ablenken, dass in der Verordnung eine Evaluationsklausel eingearbeitet wurde, nach der das Bundesministerium für Gesundheit bis zum 15. Oktober 2020 die Auswirkungen der Regelung auf die wirtschaftliche Situation der Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte überprüfen muss.

Trotz alledem und gerade wegen dieser bitteren Medizin, die die Politik uns verabreicht hat und die sicherlich noch lange in unserem Gedächtnis bleiben und unsere Einstellung gegenüber der Politik nachhaltig verändern wird, gilt es, mit Besonnenheit zu reagieren.
Die KZBV steht mit den für die vertragszahnärztliche Versorgung zuständigen KZVen in permanentem Austausch. Wir werden die Verordnung gemeinsam in jeder denkbaren Konsequenz analysieren und unsere Schlussfolgerungen ziehen. Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen auf eine eindeutige Klarstellung durch die Bundesagentur für Arbeit hinwirken, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben. Wir werden die 28-tägige Erklärungsfrist nutzen, die die Verordnung hinsichtlich Annahme oder Ablehnung der Liquiditätshilfe vorsieht, um weitere Erkenntnisse über den Verlauf der Pandemie und die wirtschaftlichen Konsequenzen für den Berufsstand in diese Entscheidung mit einfließen zu lassen.

Wir werden mit aller Kraft und gemeinsam daran arbeiten, dass sich die Krise und die Tatsache, dass die Politik uns keinen Schutz gewährt, nicht zu einem Fiasko für die Zahnärzteschaft und die vertragszahnärztliche Versorgung auswächst. Dazu gehört, dass wir trotz aller Enttäuschung und Frustration auch weiterhin alle politischen Möglichkeiten und Optionen ausloten werden, um im Herbst eventuell doch noch zu einer gesetzlichen Regelung zu finden, durch die die Zahnärzteschaft mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Schutz vor den wirtschaftlichen Folgen erhalten soll."