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Vielfältige Möglichkeiten – Patienten im Fokus

Für eilige Leser:innen

  • 1. Implantatgetragene Prothetik hat hohe Komplikationsraten.
  • 2. Bei den technischen Komplikationen (5mal häufiger als biologische) stehen Abplatzungen und Lockerungen im Fokus.
  • 3. Entsprechend sollte vorausschauend geplant werden, auch unter funktionellen Aspekten.
  • 4. Bei den biologischen Komplikationen ist Periimplantitis häufig, mit entsprechendem Verlustrisiko der Gesamtversorgung.
  • 5. Bei Ganzkieferversorgungen sollten patientenbezogene Faktoren die Methodenauswahl wesentlich mitbestimmen.
  • 6. Die neue S3-Leitlinie (Oberkiefer) und ein Konsensus-Papier der Oral Reconstruction Foundation geben umfangreiche Orientierung.
  • 7. Konsequent digitale Technik ermöglicht zeitsparende und biologisch orientierte Versorgungen.
  • 8. Mit weiter entwickelten Planungssystemen und darauf abgestimmten technischen Lösungen wird versucht, restaurative, funktionelle und orthodontische Indikationen zu integrieren

Implantatversorgungen sind eine restaurative Meisterdisziplin, mit hohen Risiken für biologische und technisch-prothetische Komplikationen. Wichtiger Grund für diese ist die im Vergleich zu Zähnen zirka um den Faktor 8 geringere Drucksensibilität von Implantaten [1]. 
Wie Prof. Dr. Florian Beuer (Charité Berlin) im Rahmen des Dental Summer der DGI zusammenfasste (dzw Nr. 26-27/2021), können dadurch Verblendmaterialien abplatzen, aber auch Komponenten oder Implantate frakturieren. Der zukünftige Präsident der Fachgesellschaft empfiehlt, Patienten gut zu selektieren und bei größeren Versorgungen neben der Materialauswahl auf eine korrekte Relationsbestimmung und Gruppenführung zu achten. Um Frühkontakte zu erkennen, steht seit Kurzem ein spezielles System zur Verfügung (Dr. Jean Bausch), mit dem laut Anbieter eine ausgewogene Funktion geprüft und Frühkontakte erkannt werden können.  
Wer bei Ganzkieferversorgungen auf Nummer sicher gehen möchte, sollte zwei neue Publikationen mit umfassenden Empfehlungen studieren. In der aktualisierten S3-Leitlinie zur Oberkieferversorgung betonen die Autoren, dass schon bei der Planung Patientenwünsche berücksichtigt werden sollten [2, 3]. Für die Frage, ob besser festsitzend oder abnehmbar zu versorgen ist, spielen ebenso die manuelle Geschicklichkeit (Handhabung, Hygienefähigkeit) und die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten regelmäßig zur Nachsorge kommen, eine Rolle.

Ganzkieferversorgungen – Risikofaktoren und Implantatanzahl  

Eine ganze Reihe allgemeinmedizinischer und auf das Periimplantitis-Risiko bezogener Faktoren hat eine Konsensuskonferenz der Oral Reconstruction Foundation ausgewertet [4]. In dem lesenswerten Dokument zum Thema zahnlose Patienten wird zum Beispiel festgestellt, dass hohes Alter (>75 Jahre), niedrig dosierte Bisphosphonate und gut eingestellter Diabetes nicht als Risikofaktoren für Implantatverluste anzusehen sind. Empfohlen wird aber immer eine gründliche Anamnese und gegebenenfalls eine internistische Abklärung.
Neu ist in der deutschen S3-Leitlinie zur Versorgung zahnloser Oberkiefer gegenüber der vorangehenden die Option, vier Implantate festsitzend zu versorgen (bisher mindestens sechs) [2]. Da als Evidenz hierfür eine einzige hochwertige Studie vorliegt, empfehlen die Autoren jedoch eine „strenge Patientenselektion“. Die posterioren Implantate sollten „mindestens im Prämolarenbereich“ stehen. Wird eine einteilige Brücke gewählt, sollte diese unabhängig von der Implantatanzahl für leichtere Nachsorge und Reparaturfähigkeit nach Möglichkeit verschraubt werden.

Gaumenfrei und hygienefreundlich

Bei herausnehmbaren Prothesen empfiehlt die Leitlinie wegen der besseren Geschmackswahrnehmung, Phonetik und Sensorik „bei günstiger Implantatverteilung“ gaumenfreie Lösungen [2]. Als Retention werden entweder Doppelkronen, Stege oder „Druckkopfelemente“ empfohlen. Sind angulierte Implantate zu versorgen, müsse die Abwinkelung bei Druckkopfelementen (zum Beispiel Lokatoren) kompensiert werden. Ist eine Stabilisierung gewünscht, seien Stege erste Wahl.
Ebenfalls zum Thema Ganzkieferversorgung hatte PD Dr. Stefan Wentaschek, MSc., Prothetik-Oberarzt an der Universität Mainz, im Rahmen des Online-Jahreskongresses der DGI Ende 2020 referiert. Wentaschek gab zu bedenken, dass Retentionselemente für herausnehmbare Versorgungen nach seiner Erfahrung nicht immer einfacher zu reinigen sind als festsitzende Prothetik (Abb. 1 bis 4). Eine – nicht systematische – Übersicht zeigte in Bezug auf Kauleistung und Überlebensrate von Implantaten und prothetischer Versorgung keine signifikanten Unterschiede [5].

Praxis-Tipp: Extensionen

„Bei festsitzenden Ganzkieferversorgungen ist das Unterstützungspolygon mindestens so wichtig wie die Implantatanzahl“ (Wentaschek, Universität Mainz). Distale Extensionen dürfen im Oberkiefer „so tief sein wie das Unterstützungspolygon“ [6]. Gemeint ist die kürzeste (rechtwinklige) Distanz von der Verbindungslinie der beiden anterioren Implantate zur distalen Verbindungslinie (s. Abbildungen).Im Unterkiefer werden sogar Extensionen bis zur eineinhalbfachen Tiefe des Unterstützungspolygons akzeptiert.
Zwei aktuelle Studien bestätigen die grundsätzlich gute Prognose von Extensionen bei festsitzenden Versorgungen und Stegen [7, 8]. 

Unterstützungs Polygon
PD Dr. Stefan Wentaschek, Mainz

Bei Nachsorgebedarf und Komplikationen einschließlich Knochenabbau erzielten festsitzende Versorgungen laut Wentascheks Literatursichtung tendenziell bessere Ergebnisse als herausnehmbare [5]. Auch die Patientenzufriedenheit und die orale Lebensqualität waren für diese Versorgungsform größer, jedoch nicht in allen Studien signifikant [5, 9]. Zudem sind CAD/CAM-Brücken laut Wentaschek nicht teurer als Stege. Zu beachten seien aber immer patientenbezogene Faktoren wie massive Resorptionen im Oberkiefer mit entsprechender intermaxillärer Distanz und sagittaler Abweichung. Entsprechend müsse von Fall zu Fall entschieden werden, bei Bedarf auf der Basis von Langzeitprovisorien.

Praxis-Tipp: Intermaxilläre Distanz

Die Distanz zwischen Ober- und Unterkiefer sollte nach einer Literatursichtung aus den USA bei verschraubten Versorgungen auf Implantatniveau mindestens 4–5 mm betragen, bei zementierten 7–8 mm, bei Doppelkronenprothesen 7 mm und bei Stegprothesen 11 mm (zitiert nach Wentaschek) [10].

Galvanisieren, Lasersintern, Drucken

In Bezug auf Materialien für Brücken und Stege haben sich CAD/CAM-gefräste oder lasergesinterte Metalle durchgesetzt. Neuere Entwicklungen sind neben Zirkonoxid zum Beispiel glasfaserverstärkte Kunststoffe [11], wobei jeweils längerfristige klinische Studien fehlen. Für Doppelkronen haben sich laut Dr. Peter Gehrke (Ludwigshafen) lasergesinterte NEM-Legierungen oder Zirkonoxid in Kombination mit Galvanotechnik bewährt. Bezüglich Galvanoversorgungen wurde beim DGI-Jahreskongress empfohlen, im Unterkiefer wegen der Verwindung kein Galvano zu verwenden (Wentaschek), im Oberkiefer ab vier Implantaten optional und ab sechs Implantaten dagegen immer (Prof. Dr. Stefan Wolfart).

Bei Einzelkronen im Seitenzahnbereich zeigt – zumindest in vitro – die Kombination Zirkonoxid-Abutment und Komposit-Krone die besten Ergebnisse [12]. Die Kieler Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Matthias Kern verglich diese mit weiteren Kombinationen unter Verwendung von Titan- und PEEK-Abutments und stellte fest, dass das Abutment-Material Einfluss auf die Kronenprognose hat. Eine relativ neue Entwicklung sind hier präfabrizierte und mit Originalverbindung ausgestattete, aber mit CAM-Methoden modifizierbare Titan-Abutments (Preform). Diese ermöglichen eine maximale Klebefläche für die Krone und damit eine erhöhte Belastbarkeit (zum Beispiel Medentika) [13].

Abutment-Kronen, auch gedruckt

Diese spezielle biomechanische Frage wird in Zukunft ihre Bedeutung verlieren. Der Trend scheint stattdessen zu verschraubten einteiligen Abutment-Kronen zu gehen. Als Vorteil gilt unter anderem, dass nur noch ein Übergang zwischen Implantat und Abutment verbleibt, der allerdings weiterhin subgingival auf Höhe der Implantatschulter liegt [14]. Längerfristige klinische Studien sind noch nicht publiziert [15]. Für die temporäre Versorgung erlauben digitale Techniken in Verbindung mit DVT-Diagnostik, nach der Implantation gefräste und neuerdings auch gedruckte Einzelkronen aus Komposit oder anderen Materialien einzugliedern.

Gedruckte Einzelkrone

Abb.5: Chairside gedruckte Einzelkrone (Formlabs), zur Versorgung eines rein digital geplanten Sofortimplantats auf Zahn 13. Die Druckzeit betrug ca. 30 Minuten.

Bei zweiteiligen Versorgungen auf Knochenniveau-Implantaten sollte die Abutment-Höhe mindestens 3 mm betragen (untersucht bei Abutments mit Platform Switching) [16]. Dies wird tendenziell in einem einteiligen Implantatsystem berücksichtigt, bei dem der transgingivale Anteil, wie bei klassischen Gewebeniveau-Implantaten, eine Einheit mit dem enossalen Anteil bildet (TRI). Die genaue Höhe geht aus den Produktunterlagen nicht hervor. Die Verbindung wurde laut Anbieter für digitale Methoden einschließlich gedruckter Restaurationen optimiert. Von Straumann gibt es seit Kurzem die zweite Generation seines Gewebeniveau-Implantats, das laut Anbieter für Sofortversorgungsprotokolle optimiert ist.

Digitales – Hype oder echte Substanz?

Digitale Methoden werden in Fachartikeln häufig mit effizienten, also zeit- und kostensparenden Konzepten in Verbindung gesetzt. Durch sinnvolle Kombination von Datensätzen lassen sich bei gegebenen Voraussetzungen tatsächlich Arbeitsschritte einsparen, bis hin zu Sofortversorgungen ohne Abformung (vgl. Abb. 5) [17]. Sofortmethoden sind jedoch weiterhin etwas für Fortgeschrittene. Unabhängig davon ermöglichen auch „langsamere“ Konzepte auf der Basis intraoraler Scans und ohne 3-D-Planung elegante Versorgungen mit weniger Sitzungen, zum Beispiel nach dem Münchner Konzept [18].
Komplexe Anwendungen von 3-D-Planung gibt es zunehmend in den Bereichen Augmentation, Defektchirurgie und orthodontische Chirurgie. Dabei kommen immer neue Techniken zum Einsatz, zum Beispiel dynamische Navigation und augmentierte Realität, mit der sich vor einem Eingriff dreidimensionale Befunde visualisieren lassen [19]. Auf dem Niveau der täglichen Praxis könnten in den nächsten Jahren Verknüpfungen von zahn- und implantatgetragenen Restaurationen mit funktionellen (Bewegungsaufzeichnungen, Schienentechnik) und ästhetisch-analytischen Aspekten (Veneers, Aligner) praxisreif werden (zum Beispiel Zebris Medical/Schütz, Exocad/Align Technologies, Dentsply Sirona).

Fazit und Ausblick

Erfolgreiche Implantatprothetik erfordert umfassende Planung, mit Fokus auch auf Patientenwünschen und Risikofaktoren. Verfügbare Technik wird komplexer und hat zugleich das Potenzial, klinische Protokolle zu vereinfachen. Perspektivisch eröffnen weiterentwickelte Planungsprogramme neue interdisziplinäre Möglichkeiten. Solides „Handwerk“ und analoge Abstimmung im Team bleiben die Basis für erfolgreiche Versorgungen.

Dr. Jan H. Koch

Hinweis
Dieser Beitrag kann nicht die klinische Einschätzung des Lesers oder der Leserin ersetzen. Er soll lediglich – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen.

Literatur

[1] Higaki, N., et al.; Clin Oral Implants Res 2014. 25 (11): 1307-1310.
[2] DGI, DGZMK. S3-Leitlinie (Langfassung). AWMF-Registernummer: 083-010. 2020.
[3] Kern, J. S., et al.; zahnärztliche mitteilungen 2021. 111 (12): 34-43.
[4] Schwarz, F., et al.; Int J Prosthodont 2021. 34 (5): 8-20.
[5] Goodacre, C., et al.; Eur J Oral Implantol 2017. 10 Suppl 1 13-34.
[6] Wentaschek, S., et al.; Int J Prosthodont 2016. 29 (3): 245-252.
[7] Schmid, E., et al.; Clinical Oral Implants Research 2020. 31 (12): 1243-1252.
[8] Srinivasan, M., et al.; Clinical Oral Implants Research 2020. 31 (12): 1207-1222.
[9] Brennan, M., et al.; Int J Oral Maxillofac Implants 2010. 25 (4): 791-800.
[10] Carpentieri, J., et al.; J Am Dent Assoc 2019. 150 (8): 695-706.
[11] Bergamo, E. T. P., et al.; Dental Materials 2021. 37 (8): e443-e453.
[12] Elsayed, A., et al.; Dental Materials 2021. 37 (8): e435-e442.
[13] Zöllner, A., et al.; Der Freie Zahnarzt 2021. (5): 74-78.
[14] Priest, G.; J Esthet Restor Dent 2017. 29 (3): 161-171.
[15] Gierthmuehlen, P. C., et al.; Int J Prosthodont 2020. 33 (3): 272-276.
[16] Muñoz, M., et al.; Journal of Clinical Periodontology. online 2021_06_09
[17] Spiegelberg, F., et al.; ZZI 2019. 35 (4): 310-319.
[18] Beuer, F., et al.; J Prosthodont 2015; 24:580-585.
[19] Pérez-Giugovaz, M. G., et al.; Journal of Prosthodontics. online 2021_05_05