Anzeige

Respiratorische Notfälle – exazerbierte COPD

Zu den häufigsten Lungenerkrankungen in unserer Gesellschaft gehören die chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) und das Asthma bronchiale. Zahnärztliche Eingriffe finden unmittelbar an den oberen Atemwegen statt. Deren anatomische Lage bedingt bereits, dass Atemwegsprobleme mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auftreten können.

Hinzu kommt, dass Zahnärzte häufig Lokalanästhetika und/oder Sedativa einsetzen, die bei Überdosierung oder allergischer Reaktion atemdepressiv wirken können.
Eine ganze Reihe von weiteren Ursachen kann ebenfalls zu Problemen mit der Atmung führen (Tab. 1). Es ist wichtig, dass der Zahnarzt und die Teammitglieder die Symptome derartiger Notfälle kennen und die entsprechende Behandlung sicher beherrschen.

 

Tab. 1: Respiratorische Notfälle in der Zahnmedizin
Ursache Häufigkeit
Hyperventilation sehr häufig
Vasovagale Synkope sehr häufig
Asthma häufig
Herzinsuffizienz häufig
Hypoglykämie häufig
Sedidativa selten
Akuter Myokardinfarkt selten
Allergie/Anaphylaxie selten
Apoplex selten
Epilepsie selten
Fremdkörperaspiration selten
© Mathers  
Der Bronchospasmus beim Asthmatiker ist dramatischer und endet eher in einer lebensbedrohlichen Situation als die Dekompensation bei COPD. Immer sollte Sauerstoff mit 6 Liter/Minute über eine Nasenbrille oder eine Atemmaske gegeben werden.

Der Bronchospasmus beim Asthmatiker ist dramatischer und endet eher in einer lebensbedrohlichen Situation als die Dekompensation bei COPD. Immer sollte Sauerstoff mit 6 Liter/Minute über eine Nasenbrille oder eine Atemmaske gegeben werden.

Die Behandlung einer exazerbierten COPD entspricht der des akuten Asthmaanfalls, obwohl es Unterschiede in der Genese, dem Patientenprofil und der Pathophysiologie gibt. Tabelle 2 stellt die beiden Patientengruppen gegenüber.

 

Tab. 2: Unterschiede zwischen COPD und Asthma
Parameter Asthma COPD

Alter bei Diagnose

häufig Erkrankungsbeginn im Kindes- und Jugendalter, aber auch mittleres Erwachsenenalter

meist jenseits der 5. Lebensdekade

Zigarettenrauchen

nicht häufiger als Durchschnittsbevölkerung, nicht asthmaverursachend

direkter Kausalzusammenhang, Nichtraucher sind selten

Allergie

häufig (bis 80 % aller Fälle)

selten

Atemnotbeschwerden

in der Regel anfallsartig (auch nachts oder bei Belastungssituation) mit beschwerdefreien Intervallen

meist chronisch. Akute Verschlechterungen (Exazerbationen kommen vor)

Verlauf

variabel

chronisch progrediert

Atemwegsobstruktionen

variabel bei Normalbefunden im Intervall. Gutes Ansprechen auf bronchialerweiternde Medikamente

chronische Einschränkung. Eingeschrämktes Ansprechen auf Medikamente

Bronchiale Empfindlichkeit

typisches Charakteristikum

untypisch

Wirkung inhalativer Kortisonpräparate

kein oder kaum Effekt auf Lungenfunktion. Wirkt exazerbationssenkend 

Sekundärveränderungen

sehr selten

Überblähung der Lunge (Lungenemphysem), Belastung des rechten Herzens (cor pulmonale)

© Mathers    

 

COPD versus Asthma

Asthma wird primär durch eine allergische Reaktion oder genetische Prädisposition ausgelöst. Allergene oder auch unspezifische Reize wie Zigarettenrauch, körperliche oder psychische Belastungen können einen Asthmaanfall auslösen. Demgegenüber wird die COPD eher durch eine jahrelange bis jahrzehntelange Zigarettenrauchexposition verursacht. Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung ist ein Oberbegriff für Lungenerkrankungen, die durch eine Erhöhung des bronchialen Strömungswiderstands gekennzeichnet ist. Es handelt sich um die chronische Bronchitis und das Emphysem mit einer irreversiblen Erweiterung der terminalen Bronchiolen und Destruktion der Alveolenwände.

COPD mit chronisch fortschreitendem Verlauf

Asthmapatienten erleben einen Wechsel zwischen Beschwerdefreiheit und plötzlich auftretenden Atemnotanfällen. Bei der COPD zeigen sich Zeichen einer chronischen Bronchitis mit chronischem Husten. Diese Symptome sind Ausdruck der permanenten Schadstoffexposition und chronischen bronchialen Entzündungsreaktion. Die COPD zeigt einen chronisch fortschreitenden Verlauf, während ein frühzeitig und gut behandeltes Asthma nicht weiter fortschreitet und in den allermeisten Fällen ein normales Leben ermöglicht.

Bei beiden Erkrankungen kann es zu akuten Notfällen, den Exazerbationen, kommen. Infekte sind bei der COPD häufig Auslöser, wobei die Patienten über eine gelb- bis gelb-grünliche Verfärbung des meist zähen Auswurfs klagen.

Dauertherapie von COPD und Asthma

Gemeinsam sind beiden Erkrankungen der Einsatz von Bronchodilatatoren. Im Notfall werden b2-Mimetika (zum Beispiel Fenoterol, Salbutamol, Terbutalin) und das Ipratropiumbromid angewendet. Zur Dauertherapie werden langwirksame b2-Mimetika eingesetzt (zum Beispiel Zwölf-Stunden-Wirkung: Formoterol und Salmeterol, 24-Stunden-Wirkung: Indacaterol) und langwirksame Anticholinergika (zum Beispiel 24-Stunden-Wirkung: Tiotropium und Glycopyrronium, 12-Stunden-Wirkung: Aclidinium). Bei spezifischen Subpopulationen ist darüber hinaus die Gabe von inhalativen Glukokortikoiden sowie Antibiotika indiziert.

Heilung der COPD nicht möglich

Im Verlauf kann es indiziert sein, eine Langzeitsauerstofftherapie oder nichtinvasive Beatmung (über Nasen- oder Fullface-Masken) durchzuführen. Operative Interventionen können ebenfalls notwendig werden, um einzelne Lungenteile zu entfernen (Emphysemchirurgie) oder gar eine Lungentransplantation vorzunehmen. Nichtmedikamentöse Maßnahmen kommen ebenfalls zum Zug, um die Fähigkeit der Patienten zum Selbstmanagement zu unterstützen (Tab. 3). Die Standardapplikationsform bei beiden Erkrankungen ist inhalativ. Ziel ist eine Verbesserung der Lebensqualität und der Lungenfunktion, denn eine Heilung der COPD ist nicht möglich.

 

Tab. 3: Behandlungsbausteine bei COPD
Prävention Rauchentwöhnung
  Schutzimpfungen
  Arbeitsplatzhygiene
Nicht-medikamentöse Behandlung körperliches Training
  Patientenschulung
  Physiotherapie
  Ernährungsberatung
Medikamentöse Behandlung kurz-wirksame Bronchodilatatoren
  lang-wirksame Bronchodilatatoren
  Glukokortikoide
  Antibiotika
Apparative/operative Behandlung Langzeitsauerstofftherapie
  nicht-invasive Behandlung
  Lungenemphysemchirurgie
  Lungentransplantation
© Mathers  

 

Besonderheiten bei zahnärztlicher Behandlung

Bei der zahnärztlichen Behandlung müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, um eine weitere Atemnot, bedingt durch die eingeschränkte Lungenfunktion, zu verhindern. Günstig sind die aufrechte Positionierung des Patienten und die Vermeidung einer bilateralen Leitungsanästhesie. Sedierungsmaßnahmen wirken sich positiv aus, wobei der Zahnarzt am ehesten auf Lachgas zurückgreifen sollte, da Lachgas keine Atemdepression erzeugt. Benzodiazepine können ebenfalls eingesetzt werden, wobei dies am besten dem Anästhesisten überlassen werden sollte, wenn der Patient vor der Behandlung signifikante respiratorische Einschränkungen ausweist und/oder zur ASA-Gruppe 3 oder höher gehört.

Notfallbehandlung: Kollaps der Bronchien vermeiden

Der Bronchospasmus beim Asthmatiker ist dramatischer und endet eher in einer lebensbedrohlichen Situation als die Dekompensation bei COPD. Auslöser der Atemwegsprobleme ist in beiden Fällen nicht selten ein viraler Atemwegsinfekt, der bei beiden Erkrankungen ähnliche Symptome verursacht und die gleiche Therapie erfordert, nämlich die Applikation von inhalativen Bronchodilatatoren. Falls vorhanden, können 100 mg Hydrocortison intramuskulär im Nachgang gegeben werden.

Immer sollte Sauerstoff mit 6 Liter/min über eine Nasenbrille oder eine Atemmaske gegeben werden. Patienten werden häufig schon von sich aus die Lippenbremse anwenden, um den intrabronchialen Druck zu erhöhen und den Kollaps der Bronchien zu vermeiden. Der Rettungsdienst ist bei der akuten Exazerbation einer COPD frühzeitig zu informieren, da es zu einer Erschöpfung der Atemmuskulatur kommen kann und die Patienten dann künstlich beatmet werden müssen.

Im akuten Stadium, das heißt, während eines Asthmaanfalls oder bei COPD-assoziierter Luftnot bei einer Dekompensation, ist die Unterscheidung beider Erkrankungen schwierig. Die Anamnese ermöglicht eine Differenzialdiagnose, wobei die Patienten bei beiden Erkrankungen infolge der Luftnot schlecht sprechen können. Hinzu kommt, dass auch COPD-Patienten ihre Erkrankung oft Asthma nennen. Der Algorhythmus für die Behandlung einer exazerbierten COPD mit Bronchospasmus wird in Tabelle 4 dargestellt.

 

Tab. 4: Behandlungsalgorithmus exazerbierte COPD (Bronchospasmus)
Problem erkennen (Atemnot, Keuchen)  
Zahnbehandlung einstellen  
Notfallteam der Praxis aktivieren  
P – Patienten bequem positionieren (Oberkörper hoch)  

A→B→C Atemwege freimachen, Atmung prüfen, Karotispuls max. 10 Sek. prüfen

Falls erforderlich, lebensrettende Sfortmaßnahmen (BLS) durchführen

 
D – Definitive Behandlung  

Sauerstoff 6 l/Minute geben

2 Hub Salbutamol (beta-2-andregerner Bronchodilatator)

 

2 Hub Salbutamol (beta-2-andregerner Bronchodilatator)

(2x wiederholen alle 20 Min.)

 

 
(Anfall beendet) (Anfall dauert an)
Die Zahnbehandlung kann ggf. fortgesetzt werden Rettungsdienst alarmieren
Entlassung des Patienten Adrenalin 0,3 mg i.m. (Jext/Fastjekt)
 

Adrenalin 0,3 mg i.m. (Jext/Fastjekt)

(2x wiederholen alle 20 Min.)

© Mathers Einweisung

 

Die Behandlung von COPD-Patienten stellt jeden Zahnarzt vor eine besondere Herausforderung, zum Beispiel lassen sich die meisten Patienten nicht flach lagern. Andererseits leiden COPD-Patienten an den Folgen einer unzureichenden zahnmedizinischen Versorgung. So können bakterielle Lungeninfektionen ihre Ursache in einem schlecht sanierten Mundraum mit einer entsprechenden Aspiration von pathogenen Keimen haben. Umgekehrt führen Pharmaka zur COPD-Behandlung ihrerseits zu zahnmedizinisch relevanten Folgen. Die inhalativen b-Agonisten führen zu Mundtrockenheit, mit den bekannten Folgen von Karies, Candidainfektionen, Gingivitis etc.

Funktionelle Einschränkungen durch COPD

COPD führt zu funktionellen Einschränkungen, die eine Teilnahme der Patienten an verschiedensten Lebensbereichen erschweren beziehungsweise ausschließen. Ihre Behandlung erfordert eine Jahre bis Jahrzehnte andauernde kontinuierliche Therapiemitarbeit, zum Beispiel tägliche Medikamenteneinnahme, Veränderungen im Lebensstil etc. Zahnärzte leisten einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität dieser Patienten. Es lohnt sich, die besonderen Umstände dieser teils schwerkranken Patienten zu kennen und sich für den unwahrscheinlichen Fall zu rüsten, dass es in der Zahnarztpraxis zu einer Dekompensation und erforderlichen Notfallintervention kommt.