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Was die Pause alles kann

Tagtraum

Tagträume haben nicht den besten Ruf. Dabei sind sie eine wichtige Inspirationsquelle.   

Ein Ziegelstein. Zwei Minuten. Die Aufgabe: Was kann man alles mit einem Ziegelstein anfangen? Kreative Menschen finden viele interessante Verwendungen. Angefangen vom Trittbrett, um an ein oberes Regalbrett zu gelangen, einer Bepflanzung mit seltenen Blumen, über ein Versteck, um jemanden zu beobachten (wenn man den Stein auf eine Mauer stellt und sich dahinter platziert), bis hin zum Raumbefeuchter ist alles dabei.

Gibt man den Probanden die Aufgabe und fragt sie drei Tage später, kommen oft noch mehr Ideen als in den zwei Minuten direkt nach der Aufgabenstellung. Auch wenn sie in der Zeit nicht mehr aktiv an der Aufgabe arbeiten, nutzt das Gehirn die Zeit und schafft im Hintergrund neue Ideen. Diese Inkubationszeit bringt häufig Ideen zum Vorschein, die nicht direkt einfallen. Auch dann nicht, wenn man gründlich über das Problem nachdenkt. Sie entstehen wie von selbst. Beim Tagträumen.

Wenn Gedanken wandern

Tagträumen hat nicht den besten Ruf. Einfach aus dem Fenster sehen und nichts tun? Menschen, die sich selbst dabei erwischen, haben oft ein schlechtes Gewissen, nichts „Richtiges“ getan zu haben. Dabei schweifen die Gedanken sofort ab, wenn eine Aufgabe nicht die volle Konzentration verlangt. Spülen? Was koche ich heute Abend? Aufräumen? Südsee wäre auch mal ein schönes Urlaubsziel … Nach Hause fahren? Mit Patient Z muss ich mal ein ernstes Wort reden …

Stimulus independent thought (SIT) nennen Fachleute es, die Gedanken schweifen zu lassen. Mit wandernden Gedanken schleichen sich häufig Fehler bei Routineaufgaben ein. Besonders im Straßenverkehr. Ganz in Gedanken vergessen wir eine Ausfahrt zu nehmen oder bemerken erst im letzten Moment, dass wir scharf bremsen müssen. Oft haben wir Glück. Manchmal nicht.

Gehirn immer aktiv

2010 ermittelten Harvard Forscher per SMS-Nachrichten, dass Menschen etwa die Hälfte ihrer wachen Zeit mit Tagträumen verbringen. Meist ist uns das nicht bewusst. Beim Tagträumen verarbeiten wir emotionale Inhalte, erleben Szenen neu, festigen Erinnerungen, schmieden Pläne und denken über Lösungen für schwierige Aufgabenstellungen nach. Um zu guten Lösungen zu kommen, ist diese Inkubationszeit, dieses Tagträumen, wesentlich. Abstand zu nehmen und nicht absichtsvoll nach einer Lösung zu suchen, aktiviert verschiedene Hirnareale und bringt einfach mehr Ideen. Neue Sichtweisen entstehen nur so.


Das Gehirn ruht nie. Es arbeitet ohne Unterlass. Tag und Nacht. Wenn es einmal aufhört zu arbeiten, dann für immer. Wenn wir nicht möchten, dass Gedanken spazieren gehen, dann müssen wir das Gehirn beschäftigen. Mit Arbeit, Musik, Malen oder Sport. Aber sobald auch hier eine Routine eintritt, kommen die Gedanken wieder. Beim Mannschaftssport sind wir mehr gefordert als beim Joggen, es sei denn, wir haben uns verlaufen und suchen den Weg aus dem Wald heraus. Sobald Gedanken nicht fokussiert sind, schweifen sie ab. Und wenn wir tatsächlich nichts zu tun haben, dann schaffen wir uns Aufgaben.

Lieber Elekroschock als Langeweile

Was Menschen machen, wenn tatsächlich gar nichts da ist und sie keine Lust mehr zum Tagträumen haben, untersuchte der US-Psychologe Timothy Wilson. Er ließ 2014 Menschen für 15 Minuten in einem leeren Raum warten. Die Probanden waren alleine mit einem Elektroschocker. Zwei Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen fügten sich damit selbst schmerzhafte Schocks zu. Zu lange Pausen mögen wir also auch nicht.
Unser Gehirn will beschäftigt sein, lieber schmerzhaft als gar nicht. Deswegen ist es immer aktiv, sucht sich Aufgaben und lässt die Gedanken wandern. Weil wir dem ewigen Tagtraum Elektroschocks vorziehen und uns gleichzeitig nicht den ganzen Tag fokussiertem Denken widmen können, nutzen wir mit einem Wechsel das volle Potenzial. Fokussiertes Denken strengt an. Und wenn wir konzentriert an einer Sache arbeiten, kommt es vor, dass die Gedanken plötzlich auf Wanderschaft gehen.

Mehrere kurze Pausen machen

Häufige kurze Pausen bewähren sich mehr als eine längere Pause am Tag. 50 Minuten konzentriert arbeiten und 10 Minuten Pause, bevor es wieder für 40 oder 50 Minuten weitergeht, ist für viele Menschen angenehm. Manche bevorzugen auch alle 20 Minuten eine Fünfminutenpause. Jeder hat schon die Erfahrung gemacht, dass wir nach einer Pause schneller sind und konzentrierter arbeiten. Das gelingt aber nur dann, wenn wir die Pause auch als solche nutzen und nicht die Zeit in eine andere konzentrierte Arbeit investieren. Die Gedanken müssen buchstäblich spazieren gehen können.


Nach einer Pause gehen Dinge, mit denen wir uns zuvor schwergetan haben, plötzlich leichter von der Hand. Uns fallen Dinge ein, nach denen wir zuvor vergeblich gesucht haben, denn wir nutzen alle die Überlegungen, die sich in der Pause im Hinterkopf entwickelt haben.
Auch Meetings sollten durch Pausen unterbrochen werden. Nicht nur für Small Talk, sondern auch, damit alle mit voller Konzentration dabei sind, wenn Dinge besprochen und verhandelt werden. Wer müde ist, stimmt schneller zu. Doch im Alltag funktioniert die Vereinbarung dann doch nicht. Deswegen ist es in Teammeetings besonders relevant dafür zu sorgen, dass alle voll und ganz bei der Sache sind.


Nach einer Pause erscheint einem der Ziegelstein ganz anders. Und ganz schnell verwandelt er sich in ein Insektenhotel oder in eine Wärmflasche.