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Au Backe: Der verdrehte Zahnarzt?
Ein Zahnarzt beugt sich über einen Patienten.

Oft bleibt die eigene Gesundheit auf der Strecke, wenn man sich zum Wohl der Patienten selbst krumm macht.

Oft beschäftigen sich Zahnärzte erst mit dem Thema Ergonomie, wenn die Rückenschmerzen kaum noch auszuhalten sind. Jens-Christian Katzschner kann selbst ein Lied davon singen: Drei Jahre nach seiner Niederlassung hatte er einen Bandscheibenvorfall – und machte sich auf die Suche nach einer langfristigen Lösung. Mittlerweile ist er ausgewiesener Experte. Im Interview mit DZW-Redakteurin Evelyn Stolberg liefert er Einblicke in seine Arbeit als Berater für Kollegen und erklärt, dass es vor allem eine Sache der Einstellung ist, die dafür sorgen kann, dauerhaft gesund zu bleiben.

Herr Katzschner, wann sollte sich ein Zahnarzt mit dem Thema Ergonomie beschäftigen?

Jens-Christian Katzschner: Eigentlich müsste er es schon am ersten Tag seiner studentischen Ausbildung. Leider haben die Universitäten nicht die Kapazitäten, diesen Bereich abzudecken. Wir lernen dort richtig zu arbeiten, aber wir lernen nicht, wie wir uns selbst ein Leben lang gesund erhalten. Allerspätestens, wenn ich eine eigene Praxis habe, sollte ich mich aber mit dem Thema auseinandersetzen. Denn was nützt den Patienten der beste Zahnarzt, wenn er nach drei Jahren nicht mehr kann?

Sie bieten Workshops zum Thema Ergonomie für Zahnärzte an. Warum?

Katzschner: Ich habe ergonomisches Arbeiten tatsächlich noch an der Uni gelernt, aber nicht angewendet. Es kam halt jemand, der uns sagte, dass wir nicht richtig sitzen. Solange er da war, haben wir das beherzigt. Aber danach ...  Wenn man jung ist und keine körperlichen Probleme hat, nimmt man das Thema oft nicht ernst. Ich selbst hatte ein Schlüsselerlebnis, als ich drei Jahre nach der Niederlassung einen Bandscheibenvorfall hatte. Meine Arbeitshaltung war schlecht, und ich habe die falsche Lupenbrille benutzt. Ich habe alles zum Wohl der Patienten gemacht, aber nie auf mich geachtet. Und die meisten meiner Kollegen machen es genauso. Damals machte ich mich auf die Suche nach Wissen in dem Bereich. Es gab nicht viel. Trotzdem bin ich immer tiefer in die Ergonomie eingestiegen. Heute arbeite ich Vollzeit in meiner Praxis, berate Kollegen oder spreche über Ergonomie auf Fachmessen und anderen Veranstaltungen. Die Ergonomie ist zu meiner Berufung geworden.  

Haben Sie Ihre eigene Zahnarztpraxis umgebaut, nachdem die körperlichen Probleme auftauchten?

Katzschner: Niedergelassen habe ich mich am 24. Dezember 1992. Wie jeder normale Zahnarzt habe ich mich dafür von einem Depot beraten lassen. In der Zeit damals gab es eher untypische Einrichtungen. Dennoch: Die Ausrüstung, die ich gekauft habe, habe ich einfach nicht ergonomisch genutzt. Deshalb musste ich einfach nur ein paar Möbel umstellen. Schwieriger war, mich zu ändern, neue Halte- und Absaugtechniken zu erlernen und Abläufe zu verbessern. Die meisten von uns nutzen die ergonomischen Möglichkeiten ihrer eigenen Praxen nicht. Sie arbeiten so, wie sie es gelernt haben. Antrainierte Abläufe aus dem Kopf zu bekommen, ist eben nicht einfach. Aber es geht, wenn man will.

Was sind die häufigsten körperlichen Beschwerden?

Katzschner: Eigentlich ganz klassisch betroffen sind der Hals, die Schultern, die Lendenwirbelsäule und die Hände. Ein enormes Problem sind die sogenannten einschlafenden Hände, die Tendovaginitis oder das Karpaltunnelsyndrom. Das sind tatsächlich typische Erkrankungen von Zahnärzten und PZR-Fachkräften. Teils sind die Instrumente nicht ergonomisch, oft ist es aber schlicht und einfach die falsche Handhaltung, und das über einen langen Zeitraum. Wenn der Winkel eines Instruments bei der Arbeitshaltung nicht stimmt, wird die Hand geknickt, was zwangsläufig zu Problemen führt.

Wechselnde Patientenposition

Was ist die richtige Patientenposition?

Gibt es eine Ergonomie-Checkliste, die jede Praxis berücksichtigen kann?

Katzschner: Auf den Punkt gebracht sind es drei Punkte. Erstens: Kennen Sie Ihre physiologische Arbeitsposition und finden Sie sie wieder? Zweitens: Unterstützt Ihre Ausrüstung diese Arbeitsposition? Drittens: Können Sie in dieser Interaktion Ihre Arbeit richtig machen? Das ist ehrlich gesagt der Elementarcheck. Die Ausrüstung muss unsere Arbeit sinnhaft unterstützen.

Was versteht man unter „gelebter Ergonomie“?

Katzschner: In vielen Kursen, die ich gebe, merke ich, dass die Leute sich zwar Wissen über Ergonomie angelesen haben, dieses aber nicht anwenden. Natürlich ist nicht jedes Ergonomie-Konzept auf jede Praxis anwendbar, denn jede Praxis in Deutschland ist individuell eingerichtet. Und die Arbeit in der Zahnarztpraxis ist ja auch nicht einfach. Der Patient ist angespannt, das Arbeitsfeld Mund ist klein und nicht gut einsehbar. Wenn man trotzdem in allen Aspekten dafür sorgt, ergonomisch zu arbeiten, dann nennt man das gelebte Ergonomie.

Wenn Sie als Berater in eine Praxis kommen – was fällt Ihnen dann oft als Erstes auf?

Katzschner: Die immer wiederkehrenden Fehlbelastungen. Es ist entsetzlich zu sehen, was man sich als Zahnarzt oder Assistenz selbst antut, um ein hervorragendes Ergebnis für den Patienten zu erhalten. Ich habe aber festgestellt, dass ein Umdenken unter den Zahnärzten geschieht. Bisher rief man mich als Feuerwehr. Doch es wächst eine neue Generation heran, die den Gesundheitsgedanken ernster nimmt. Die jungen Kollegen ziehen mich häufiger präventiv zu Rate.

Wenn sich die ungesunde Haltung bereits eingeschlichen hat – wie kommt man davon los?

Katzschner: Oh, über diese Frage könnte ich zwei Tage sprechen. Es ist schwierig, sich Muster abzutrainieren. Man muss sich für den Prozess öffnen, es wollen und dabeibleiben. Es gehört also eine gesunde Einstellung dazu, auf sich Acht zu geben und nicht im alten Trott zu verharren. Wenn ich in eine Praxis gerufen werde, schaue ich mir alles in Ruhe an und erstelle ein Protokoll mit einem Maßnahmenkatalog, der auf die jeweilige Praxis und seine Mitarbeiter zugeschnitten ist.

Gibt es Übungen, die sich in den Alltag integrieren lassen? Oder ist so etwas überflüssig?

Katzschner: Das ist nicht primär mein Metier. Aber da wir eine statische Arbeitshaltung haben, etwa bei einer Wurzelbehandlung, brauchen wir natürlich ausgleichende Bewegungen. Wichtig ist aber, dass auch grundsätzlich die Anzahl der fehlerhaften Einflüsse reduziert wird.

Können Sie kurz den „magischen Kreis“ erklären?

Katzschner: Hinter dieser interessant klingenden Beschreibung verbirgt sich eine geometrische Raumbeschreibung, die Griffbereiche und Raumpositionen festlegt. Für die Ergonomie in der Zahnarztpraxis ist dieses Hilfsmittel sehr wichtig.

Ein Team behandelt eine Frau.

Die gelebte „Vier-Hand-Technik“.

Auf Ihrer Website www.zahnarzt-ergonomie-forum.de findet man viele Informationen, und das kostenlos. Warum haben Sie diese Website eingerichtet?

Katzschner: In der Antike war das Forum der zentrale Platz zum Austausch. Unser Forum soll ein Ort sein, an dem Zahnärzte Wissen austauschen und vielleicht auch kontrovers diskutieren. Ich habe die Seite mit ins Leben gerufen, weil die Ergonomie in unserer Branche kein präsentes Thema ist. Und als gebranntes Kind möchte man ja auch was bewegen. Klar, ich verdiene damit Geld, aber wichtiger ist mir, dass ich anderen Menschen helfen kann. Deswegen bin ich Arzt geworden.  

In Ihren Workshops gehen Sie auf bestimmte Themen ein, etwa „Welche Sitzposition nimmt man bei einer Oberkieferbehandlung ein?“ Was sollten Zahnärzte darüber wissen?

Katzschner: Alle Zahnärzte und Prophylaxehelferinnen sagen mir, dass sie diese Position am schwierigsten finden, weil der Bereich so schlecht einsehbar ist. Die Lösung ist die Nutzung eines Spiegels. Der Patient liegt leicht gestreckt und sollte eine bestimmte Kopfposition annehmen. Und man muss natürlich selbst hinter dem Kopf des Patienten sitzen.

Sie bieten auch Mikroskop-Workshops an. Warum?

Katzschner: Ich bin seit fast 15 Jahren Anwender eines Mikroskops und finde, dass sein Einsatz in der Zahnmedizin revolutionär ist. Wenn Sie ein Mikroskop nutzen, sind Sie allerdings gezwungen, sich eine andere Arbeitssystematik anzueignen. Es zwingt einen in eine physiologische Arbeitsposition, da man fix sitzen muss. Viele nutzen es deshalb nur bei einer Endodontie, aber Zahnpräparationen werden damit eher nicht gemacht. Dabei muss man nur wissen, wie man den Patienten richtig positioniert. Dann kann man alles mit dem Mikroskop machen.

Wie sollte eine Praxis Material und Instrumente ergonomisch organisieren?

Katzschner: Kurz gesagt so, dass ein flüssiger Arbeitsablauf möglich ist. Bei der Lagerung von Dingen sollte man ebenfalls darauf achten, dass man sie in einer physiologischen Arbeitshaltung erreicht, ohne sich über die Maßen zu strecken. Oft komme ich in Praxen und frage: „Warum bewahren Sie die Instrumente da auf?“, wenn es ein ungünstiger Ort ist. Die Antwort lautet immer: „Weil sie schon immer da waren.“ Oft lassen sich Dinge schnell und einfach ändern – ohne dass es etwas kostet, außer ein bisschen Zeit fürs Umstellen und Umräumen.

Hinter dem „magischen Kreis“ verbirgt sich eine geometrische Raumbeschreibung, die Griffbereiche und Raumpositionen festlegt.

Linkshändige Behandler und rechtshändige Assistenz. Kann das klappen?  

Katzschner: Es gibt viele umgepolte Zahnärzte, die links denken und rechts arbeiten, denn während der Ausbildung in der Uni wird kaum Rücksicht darauf genommen. Wenn der Behandler mit einer reinen Linkshändereinheit arbeitet, könnte die rechtshändige Assistenz tatsächlich große Probleme bekommen. Dann müsste sie eine andere Absaugtechnik lernen und eine andere Instrumentierung. Ehrlich gesagt, sind solche Fälle aber eher exotisch.

Wie behandle ich pflegebedürftige Patienten im Bett, ohne mich selbst zu verbiegen?

Katzschner: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Tatsächlich muss man vor Ort schauen, ob man am Pflegebett etwas einstellen kann, das die Behandlung für den Zahnarzt einfacher macht. Für diese Herausforderung muss noch eine Lösung gefunden werden, vor allem, da in der aufsuchenden Betreuung häufig eher ältere Kollegen unterwegs aus.

Wie sieht es mit der Industrie aus – bietet sie für die Praxis alles, was Zahnärzte brauchen, um ergonomisch arbeiten zu können?

Katzschner: Ja, eigentlich schon. Denn es gibt Grundregeln, und die kennen auch die Industriedesigner. Komplex wird es zwar, weil die Produkte für die ganze Welt angefertigt werden und auch weltweit verkauft werden müssen. Aber die Dentalwelt hat für die Praxis alles zu bieten, was man für eine ergonomische Arbeit braucht.  

Einige sind für den Sattelstuhl, andere nicht. Was ist Ihre Einschätzung? Worauf sollte ein Zahnarzt tagtäglich sitzen?

Katzschner: Es gibt Praxen, da sitzen die Mitarbeiter auf Sattelstühlen physiologisch, andere sitzen auf anderen Stühlen besser. Das muss jeder nach seinem Geschmack unter Berücksichtigung der ergonomischen Grundlagen entscheiden.

Ist die Ergonomie ein Stiefkind der Zahnmedizin?

Katzschner: Leider ja. Denn meistens kommt man erst darauf zu sprechen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Das Thema wirkt auf den ersten Blick langweilig. Viele befürchten auch, dass sie Geld in die Hand nehmen müssen, um die Praxis ergonomisch einzurichten. Dabei ist das oft nicht nötig, man muss meistens nur Dinge und Abläufe ändern oder etwas umpositionieren. Dafür muss mitnichten die Praxis auf den Kopf gestellt werden. Ich sehe die Ergonomie als das A und O an. Denn sie macht es erst möglich, dass wir Zahnärzte lange und gesund in der Praxis arbeiten können.

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