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Biofilm kontrollieren – auch bei Hundertjährigen

Prof. Dr. Jürgen Heppner

Zahlreiche Wechselwirkungen zwischen oralen und systemischen Erkrankungen: Prof. Dr. Jürgen Heppner.

Orale und systemische Erkrankungen haben eine Reihe gemeinsamer Risikofaktoren. Zugleich gibt es symptombezogene Wechselwirkungen, zum Beispiel zwischen Kaueffizienz und geistiger Leistungsfähigkeit oder Mundtrockenheit und Depressionen oder Karies [1].

Beim ersten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM) am 17. und 18. Mai 2019 in Düsseldorf diskutierte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie Prof. Dr. Jürgen Heppner (Klinikum Schwelm und Universität Witten/Herdecke) das Thema am Beispiel von Medikationen. Diese können neben Mundtrockenheit (Karies, Stomatitis) zum Beispiel auch zu Reflux von Magensäure und Erosionen führen.

Prof. Dr. Cornelia Frese

Weniger ist bei betagten Patienten häufig mehr: Prof. Dr. Cornelia Frese

Wechselwirkungen zwischen Medikamenten, die häufig in größerer Zahl eingenommen werden, sind meist nicht bekannt. Sie können deshalb auch von Internisten nicht beurteilt werden. Dessen ungeachtet haben Zahnmediziner laut Prof. Dr. Cornelia Frese (Sektion Präventive und Restaurative Zahnheilkunde, Universität Heidelberg) die Aufgabe, die Mundgesundheit ihrer Patienten nach Möglichkeit zu erhalten. Sie unterstützen damit auch deren soziales und psychisches Wohlbefinden. Alle mechanischen und chemischen Möglichkeiten der Biofilmkontrolle sollten genutzt werden, zum Beispiel durch größenmäßig angepasste Bürsten für jeden Interdentalraum.

Gesunde Hundertjährige
Frese empfiehlt zugleich für alte und begrenzt belastungsfähige Patienten eine Zahnheilkunde, die „nachhaltig, bezahlbar und gut genug“ ist. Anstelle von Kronen, Brücken oder Implantaten könnten auch Kompositanhänger oder sogar äquigingival belassene Wurzeln angezeigt sein, die hygienefreundlich gestaltet werden. Über 86 Prozent der über 75-Jährigen betreiben ihre Mundpflege noch ohne (53,9 Prozent) oder mit nur etwas Unterstützung durch Angehörige oder Pflegepersonal (34,4 Prozent) [2].

Eine ganz besonderer Schlag sind Menschen ab 100 Jahren, von denen es in Deutschland bereits mehr als 13.000 gibt. Drei von vier „Hundertjährigen“ leben zu Hause, und neun von zehn sorgen für sich selbst. Die meisten sind zudem frei von schweren Erkrankungen und sterben meist an Altersschwäche oder Pneumonie. Als wichtige Ursachen für extreme Langlebigkeit gelten ein günstiges Zusammenspiel von Mikrobiom und Genom (Epigenetik) und eine gute kardiovaskuläre und metabolische Konstitution.

Jun.-Prof. Dr. Margareta Halek

Dementen Patienten ein Gefühl eigener Kontrolle vermitteln: Jun.-Prof. Dr. Margareta Halek.


Demente brauchen Kontrollgefühl
Demenzerkrankungen sind nur zu etwa 70 Prozent neurodegenerativ bedingt, der Rest ist Folge anderer Erkrankungen. Die Wittener Pflegewissenschaftlerin Jun.-Prof. Dr. Margareta Halek betonte in Düsseldorf die erhöhte Verletzlichkeit von Demenzpatienten. Diese kann zum Beispiel zu Aggressivität oder fehlender Kooperation führen. Ursache sei häufig Stress durch falsches Verhalten von Pflegepersonal. Sehr wichtig ist laut Halek, Betroffenen ein Gefühl von Autonomie zu vermitteln. Dies gelinge zum Beispiel, wenn das Praxisteam sie nach Möglichkeit selbst handeln lässt oder nur unterstützend tätig ist. Da Patienten neutrale Gesichtsausdrücke häufig negativ bewerten, sollten sie besser angelächelt werden.

 


 

Dominic Jäger, MSc

Praxiskonzept konsequent auf pflegebedürftige Patienten ausgerichtet: Dominic Jäger, MSc.


Ausgezeichnetes Praxiskonzept
Mit dem DGPZM-Praktikerpreis ausgezeichnet wurde die auf alte und pflegebedürftige Patienten ausgerichtete Praxis des Geseker Oralchirurgen Dominik Niehues, MSc. Laut Mitarbeiter Dominik Jäger, MSc, werden auf der Basis von vier Kooperationsverträgen mit Pflegeheimen ca. 800 Patienten betreut, entweder „an der Bettkante“ oder in der Praxis. Hinzu kommen seit Kurzem zu Hause betreute Patienten. Das Projekt wird von der Universität Köln wissenschaftlich begleitet. Jäger betonte, dass Pflegekräfte als Partner verstanden werden sollten und dass Organisation und Kommunikation – auch mit Angehörigen, ärztlichen Kollegen und zur Aspirationsvorbeugung mit Logopäden – den Großteil der aufgewendete Zeit beanspruchen. Um durch orale Gesundheit die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern, sei die Ausrichtung der Geseker Praxis klar präventiv. Beide Zahnmediziner sind Spezialisten für Alterszahnmedizin (DGAZ).


Fazit
Die Düsseldorfer Vorträge zum Thema Gerodontiatrie (Alterszahnheilkunde) waren hoch informativ. Neben präventiven wurden auch therapeutische, epidemiologische und Aspekte des Patientenmanagements beleuchtet. Da Prävention ein Querschnittsfach ist, erwies sich der Blick der DGPZM über den kariologisch-parodontologischen Tellerrand als sehr erfrischend.

Dr. Jan H. Koch


Wer hat 100-jährige Patienten?
Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Cornelia Frese arbeitet an einer dentalen Version der Heidelberger Hundertjährigenstudie [3], für die sie ausführliche Interviews führt. Wer in der eigenen Praxis 100-jährige Patienten aus dem Rhein-Neckar-Gebiet hat, kann diese bei Interesse an die Zahnklinik weiterleiten (cornelia.frese@med.uni-heidelberg.de).



„Barbara’s appointment“
Im Video von Health Education England wird anschaulich gemacht, wie Kommunikation mit dementen Patienten funktioniert: bit.ly/2F1QoAc


Literatur

1. Tran TD, Krausch-Hofmann S, Duyck J, de Almeida Mello J, De Lepeleire J, Declerck D, et al. Association between oral health and general health indicators in older adults. Sci Rep 2018;8:8871.
2. Jordan A, Micheelis W. Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie DMS V. Köln, 2016.
3. Jopp DS, Rott C, Boerner K, Boch K, Kruse A. Zweite Heidelberger Hundertjährigen-Studie: Herausforderungen und Stärken des Lebens mit 100 Jahren, 2013. bit.ly/2wM93eL