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Gehalt_Streit

Das Gehaltsgespräch ist für die Mitarbeiterin genauso unangenehm wie für den Zahnarzt.

Eine Mitarbeiterin, die schon länger in der Zahnarztpraxis tätig ist und sehr viel leistet, kommt irgendwann mit Gehaltswünschen zum Chef. Eine Gehaltsaufbesserung bedeutet nicht nur mehr Geld, sondern auch eine Bestätigung ihrer Leistung. Sie ist eine Art der Wertschätzung. Chefs argumentieren häufig, dass Gehaltswünsche zum falschen Zeitpunkt kommen, weil die Situation in den Arztpraxen allgemein schwierig sei. Ist dies das Ende für Gehaltserhöhungen?           

Persönliche Beziehungen zum Arbeitgeber dürfen nicht zum entscheidenden Kriterium für die Gehaltsaufbesserung werden, es geht ausschließlich um die erbrachte Leistung. Mitarbeiterinnen kennen ihren Wert, sind aber nicht immer gut über Gehälter in anderen Praxen informiert. Manchmal werden auch „Äpfel mit Birnen“ verglichen.

Das Gehaltsgespräch ist für die Mitarbeiterin genauso unangenehm wie für den Zahnarzt. Denn sie fürchtet die Absage und weiß nicht, wie sie ihren Wunsch überzeugend rechtfertigen kann. Besonders enttäuschend ist es für sie, wenn auch eine geringe Erhöhung vom Zahnarzt abgelehnt wird. Die Absage führt meist dazu, dass ihre Motivation nachlässt und sie nach Punkten sucht, die ihr am Arbeitsplatz missfallen. So entsteht der Wunsch zu wechseln, sie befasst sich mit Stellenangeboten in der Hoffnung, dass ihre Gehaltswünsche andernorts berücksichtigt werden. Die Wechselbereitschaft reduziert ihren Einsatz.

Die Gehaltsdiskussion

Es hat sich bewährt, sich von Bescheidenheit zu verabschieden, aber auch, unverschämte Forderungen zu vermeiden. Die Verhandlung erfolgt in mehreren Etappen, und im ersten Gespräch fragt die Mitarbeiterin nur nach einer möglichen Erhöhung, ohne selbst eine konkrete Zahl vorzulegen. Das Gesprächsziel: den Spielraum ausloten. Auf das Zweitgespräch hat sich die Mitarbeiterin gut vorbereitet: Zusage, Absage, Kompromiss und immer mit einer überzeugenden Begründung. Sie bringt Details über ihre Wünsche in Verbindung mit ihrem Leistungspotenzial. Pluspunkte aus der regelmäßigen Personalbeurteilung sind eine gute Grundlage für ihre Argumentation.

Die allgemein gestiegenen Lebenshaltungskosten sind ein schwaches Argument, denn auch die Praxis leidet darunter. Die Basis für eine Erhöhung ist nicht nur das Leistungsplus, sondern auch die Kontinuität ihrer Leistung. Wenn sich die Miete erhöht oder ein neues Auto finanziert werden muss, ist das keine überzeugende Begründung für eine Erhöhung. Der Chef argumentiert dann: „Versetzten Sie sich mal in meine Situation – wie wirkt es, wenn ich Ihnen mehr gebe, aber den Kolleginnen nicht?“  

Es ist nachvollziehbar, dass geringer Krankenstand, wenige Fehltage und häufiger Sondereinsatz Gehaltswünsche entstehen lassen. Wenn sich die Mitarbeiterin durch Fort- und Weiterbildung qualifiziert hat und für die Praxis unabkömmlich ist, wird es leichter, eine Gehaltserhöhung durchzusetzen. Diskussionen kann es über die Frage der Höhe und über den Zeitpunkt der Erhöhung geben. Beendet der Zahnarzt die Diskussion, kann die Mitarbeiterin ein Zwischenzeugnis verlangen, schafft damit aber auch eine gespannte Atmosphäre. In der Gehaltsdiskussion darf es unter keinen Umständen einen Verlierer geben. Die bekannte Win-win-Situation ist eine wichtige Zielsetzung, die nur gelingt, wenn im Gespräch kein Druck entsteht. Auch in schwierigen Situationen muss das Gespräch sachlich geführt werden.

Eine Gehaltserhöhung spricht sich unter den Kollegen schnell herum, die sich dann ausgegrenzt fühlen. Gehaltsunterschiede bei Mitarbeiterinnen mit gleichem Leistungsniveau sind für alle schwer nachvollziehbar. Um den Arbeitgeber entgegenzukommen, kann die Mitarbeiterin anbieten, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Es ist wie beim Fußball, wo ein Spitzenspieler teuer wird und für immer mehr Geld den Verein wechselt. Ein höheres  Gehalt verpflichtet die Mitarbeiterin zu mehr Leistung. Sie setzt sich selbst unter Druck. Auch dem Arzt ist das Gehaltsgespräch unangenehm, er fürchtet, seine Mitarbeiterin zu verlieren, wenn er Gehaltswünsche ablehnt. Andererseits fühlt er sich „erpresst“, wenn er den Wünschen nachgeben muss.  Eine Mitarbeiterin, die zum Beispiel in einer ländlichen Zahnarztpraxis schwer zu ersetzen ist, kennt ihren Stellenwert. Der Zahnarzt, der die Gehaltswünsche ablehnt, muss damit rechnen, dass die Mitarbeiterin zukünftig „Dienst nach Vorschrift“ macht. Kommt es zu Erhöhung, weil sie mit Kündigung droht und schon ein Zwischenzeugnis verlangt, gewinnt sie Oberwasser.

Die Alternativen  

Die Arbeitszeit  bei gleichem Gehalt zu senken, entspricht einer indirekten Gehaltserhöhung. Das ist eine oft vergessene Alternative. Bei hervorragendem Betriebsklima in der Praxis sind die Gehaltsansprüche etwas gedämpfter, und die Mitarbeiterin ist eher zu einem Kompromiss bereit. Die Gehaltswünsche zur Hälfte zu erfüllen, ist keine Notlösung, sondern ein Kompromiss, mit dem auch die Mitarbeiterin leben kann.

Geldwerte Zusatzleistung liegen derzeit im Trend. Die Mitarbeiterin sollte hier initiativ vorgehen und Vorschläge machen: Übernahme des Jobtickets durch den Arbeitgeber, Mitgliedschaft im Fitnessklub, Beteiligung an den Fahrtkosten. Das Eingehen auf individuelle Wünsche der Einzelnen (zum Beispiel morgens etwas später beginnen und dafür die Mittagspause kürzen) rücken Gehaltswünsche an die zweite Stelle. Wenn alle Parameter am Arbeitsplatz stimmen, wird die Gehaltsfrage nicht so schnell zur Kündigung führen. Je zufriedener die Mitarbeiterinnen sind, desto seltener kommt es zu harten Gehaltsverhandlungen.

Rolf Leicher, Heidelberg