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Rheumatische Erkrankungen und Kieferorthopädie
Fotografisch dokumentierte Okklusionsanomalie in Form eines anterior und lateral offenen Bisses einer Patientin mit Juveniler Idiopathischer Arthritis.

Fotografisch dokumentierte Okklusionsanomalie in Form eines anterior und lateral offenen Bisses einer Patientin im Alter von 13 Jahren.

Vom 11. bis 14. Oktober 2017 findet die 90. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) im „World Congress Center“ in Bonn statt. Zu dieser traditionell wichtigsten Veranstaltung des Fachs, an die auch eine große Industrieausstellung angekoppelt ist, erwartet die Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Bonn laut Pressemeldung mehr als 2.000 Teilnehmer.

Nationale und internationale Experten diskutieren unter anderem über Erkrankungen des Kiefergelenks bei Kindern und Jugendlichen. Denn rheumatische Erkrankungen, die noch immer als typische Erkrankung bei älteren Menschen gelten, sind gerade im Entwicklungsalter ein ernsthaftes Problem.

 

Jedes Jahr erkranken deutschlandweit etwa 1.500 Kinder unter 16 Jahren an einer Juvenilen Idiopatischen Arthritis (JIA), der häufigsten entzündlichen Gelenkerkrankung im frühen Kindes- und Jugendalter. Die chronische Erkrankung, deren Ursache nicht geklärt ist, gleicht ihrem Verlauf dem der rheumatoiden Arthritis bei Erwachsenen. Als Autoimmunerkrankung wird bei der JIA ursächlich von einer genetisch prädisponierten Fehlregulation immunologischer Interaktionen ausgegangen, die möglicherweise mit äußeren Reizen wie zum Beispiel Infektionen, toxischen Substanzen und physikalischer Überbeanspruchung in Zusammenhang stehen. „Da die Erkrankung während des aktiven Körper- und Gesichtswachstums auftritt, können sich schleichend erhebliche Fehlstellungen und Asymmetrien manifestieren“, so Dr. Eric Kutschera, Oberarzt der Poliklinik für Kieferorthopädie der Universität Bonn.

Häufig sind Kiefergelenke betroffen

„Aus kieferorthopädischer Sicht ist hierbei von besonderer Relevanz, dass in bis zu 87 Prozent der Fälle die Kiefergelenke mitbetroffen sein können. Fatalerweise verlaufen die Veränderungen anders als in anderen Gelenken, im Kiefergelenk häufig klinisch zunächst stumm, also schmerzfrei ab, weshalb sie von Kinderärzten leichter übersehen werden können. Die Erkrankung dieser Region wird daher oft erst nach bereits eingetretenen Wachstumshemmungen mit Fehlstellungen, wie einem anterior oder seitlich offenem Biss oder Kieferasymmetrien mit Kinnabweichungen registriert. Zur frühen Diagnosefindung gilt neben einer klinischen und laborchemischen Befundung eine MRT-Untersuchung als Goldstandard.

Panoramaschichtaufnahme einer 11-jährigen Patientin mit charakteristischer Veränderung des rechten Kiefergelenks.

Panoramaschichtaufnahme der 11-jährigen Patientin mit charakteristischer Veränderung des rechten Kiefergelenks.

Panoramaschichtaufnahme der Patientin zwei Jahre später.

Panoramaschichtaufnahme der Patientin zwei Jahre später.

 

Das Behandlungsspektrum setzt sich interdisziplinär aus kinderrheumatologischen, subtyp- spezifischen, immunmodulierenden, pharmakologisch-systemischen Stufentherapien und lokalen pharmakologischen Therapien, sowie kieferorthopädischen Interventionen durch zum Beispiel Wachstumsadaptionen steuernde Behandlungsapparaturen, kieferchirurgischen Eingriffen nach abgeschlossenem Wachstum und begleitenden physiotherapeutischen Maßnahmen zusammen.

Die Verlaufsformen der Erkrankung sind sehr unterschiedlich. Während etwa in der einen Hälfte der Fälle die Erkrankung nach einer oder wenigen Episoden zum Stillstand kommt, zeigt sich in der anderen ein protrahierter und durch Rezidive bis ins Erwachsenenalter gekennzeichneter Verlauf.“

Rätselhafte „Auflösung“ des Kiefergelenks bei Mädchen in der Pubertät

Neben den häufig bereits im frühen Kindesalter auftretenden entzündlichen und Autoimmunerkrankungen der Kiefergelenke werden im Teenageralter auch abnormale Veränderungen mit „Auflösung“ der betroffenen Gelenke beobachtet. Man spricht hier von einer sogenannten „Ideopathischen progressiven Gelenkresorption“. Die Betroffenen können aufgrund eines zunehmenden offenen Bisses immer schlechter abbeißen. Zudem verändert sich ihr Gesichtsprofil mit Abnahme der Kinnprominenz. Über die Häufigkeit besteht bis heute wegen der Unsicherheit in der Diagnostik noch keine Klarheit. „Doch wird dieses Krankheitsbild von einigen amerikanischen Kollegen auch als ,Cheerleader Syndrome‘ bezeichnet, da es typischerweise zwischen dem elftem und 15. Lebensjahr und insbesondere bei Mädchen in der Pubertät beobachtet wird“, erklärt Tagungspräsident Prof. Andreas Jäger. So gehen die meisten Experten von einer ursächlichen Beteiligung hormoneller Faktoren aus, obwohl eine spezifische Ursache für die Erkrankung bisher noch nicht identifiziert wurde. Für eine Therapie stehen aktuell je nach Stadium der Erkrankung entzündungshemmende Medikamente, kieferorthopädische und letztlich auch kieferchirurgische Optionen zur Verfügung.

Abschließend betonte Prof. Jäger, dass er mit der Wahl der Themen für die Tagung in Bonn ganz bewusst auch ein Zeichen dahingehend setzen wollte, dass er einen Schwerpunkt seines Fachs, der Kieferorthopädie, in einer interdisziplinär verankerten ZahnMedizin sieht.