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Dentist oder Mediziner – Weichen müssen jetzt gestellt werden

Dr. Jan H. Koch

Zahnärzte wurden in der aktuellen Corona-Krise zunächst komplett ignoriert. Sie dürfen keinen Rachenabstrich zur Feststellung einer SARS CoV-2-Infektion durchführen. Eigene Kammern raten von weiterführenden Medikationen oder vom Legen intravenöser Zugänge ab. Obwohl viele Kollegen zweifellos zu diesen und zahlreichen weiter gehenden Maßnahmen befähigt sind und diese auch durchführen, bleiben Zahnärzte nach verbreiteter Auffassung Ärzte „light“. Das „M“ in Zahnmedizin ist also nach wie vor klein. Zugleich werden manuelle Leistungen immer schlechter honoriert, sodass sie häufig an Assistenzpersonal oder auch Zahntechniker delegiert werden.

Dringend erforderlich erscheint daher ein Wandel vom Zahnarzt zum Facharzt für Oralmedizin. Wenn wir vermeiden wollen, dass unsere Fachrichtung bei politischen Entscheidungen einfach übersehen wird, haben wir keine Alternative: Der Weg führt nur über eine weitgehende akademische und berufspolitische Integration in die „große“ Medizin. Ohne diese wird die gewünschte – und von Standesvertretern immer wieder formulierte – Augenhöhe eine Illusion bleiben.
Die Anfänge wissenschaftlicher Oralmedizin liegen beim preußischen Hofarzt Philipp Pfaff im 18. Jahrhundert. Leider hat es in Deutschland Jahrhunderte gedauert, bis der Dentistenstand zugunsten eines akademischen Berufsbilds überwunden wurde. Der wissenschaftliche Standard bleibt zudem bis heute hinter demjenigen anderer medizinischer Fachdisziplinen zurück. Auch die Aufdeckung von Wechselwirkungen zum Beispiel zwischen parodontalen und systemischen Erkrankungen wird allein zu keiner nachhaltigen Aufwertung der oralen Medizin führen.


„Der Wandel zum vollwertigen Mediziner wird zunächst Opfer erfordern.
Langfristig schützt er aber vor fachlichem und wirtschaftlichem Niedergang.“

Dr. Jan H. Koch


Der notwendige interdisziplinäre Austausch kann nur über entsprechende oralmedizinische Kompetenz gelingen – über konsequente Einbindung in den medizinischen Kanon. Als Schlüssel für diese mögliche Entwicklung wird sich das Curriculum im Masterplan Medizin 2020 erweisen. Der Entwurf für die neue ärztliche Approbationsordnung liegt bereits vor. Springen wir „Zahn“-Mediziner nicht schnell auf diesen Zug, ist eine Rückentwicklung zum „Dent“isten zu befürchten – und eine Weiterentwicklung wird auf lange Sicht blockiert.

Karies und vor allem Parodontitis werden noch über Jahrzehnte Bestand haben und entsprechende Maßnahmen erfordern. Über private Vereinbarungen offen bleiben werden zudem Wunschleistungen, zum Beispiel im Bereich Ästhetik. Das berufliche Tätigkeitsspektrum wird sich aber zugleich allgemeinmedizinisch erweitern, mit entsprechendem, auch wirtschaftlichem Potenzial. Selbstverständlich müssen neu hinzukommende medizinische Leistungen und interdisziplinäre Versorgungskonzepte aufwandsgerecht honoriert werden.

„Der Sonderstatus der Zahnmedizin war und ist ein Irrweg.“ Dieses Zitat stammt von meinem verstorbenen Kollegen und journalistischen Vorbild Dr. Karlheinz Kimmel, der unter anderem als Zahntechniker, Dentalhygieniker und Zahnarzt arbeitete (dzw Nr. 27/2008). International wird zunehmend betont, dass orale Gesundheit nicht von der Gesamtgesundheit trennbar ist. Unser Berufsstand sollte aktiv darauf hinarbeiten, dass fachbezogene Sonderstrukturen bald Geschichte sind. Ein großes „M“ in Oralmedizin ist dann nicht mehr notwendig.

Dr. Jan H. Koch, Freising