Anzeige
Zahnärzte müssen Antibiotika sorgfältiger verschreiben
Antibiotika

Sorgfältige Verschreibung ist Pflicht: Die Situation in zahnärztlichen Praxen ist unbefriedigend, auch wegen fehlender Empfehlungen und Leitlinien.

Verantwortungsvolle Mediziner erstellen vor Medikationen Antibiogramme und arbeiten mit Schnelltests, zum Beispiel auf β-hämolysierende Streptokokken bei Tonsillitis. In der Zahnmedizin liegen sehr häufig Mischinfektionen vor, sodass eine vorgeschaltete Diagnostik primär in der Parodontologie sinnvoll ist [1]. Chairside-Tests für einzelne parodontalpathogene Spezies sind im Handel, vergleichbare Tests auf Wirkstoffresistenzen lassen noch auf sich warten (siehe Kasten). Diese wären auch für andere zahnmedizinische Indikationen hilfreich.

WHO spricht von globaler Krise

Die World Health Organization (WHO) rief im April 2016 eine „globale Krise“ und ein mögliches „Ende der modernen Medizin“ infolge von Antibiotikaresistenzen aus [14]. Zum Beispiel könnten Frühgeborenenbehandlungen oder Chemotherapien bei Krebs bald nicht mehr möglich sein. Auf internationaler Ebene laufen Projekte, um zum Beispiel mit praxisbasierten Schnelltests Resistenzen zu ermitteln [15]. Entsprechende Produkte werden zurzeit entwickelt [16].

Gegen Resistenzentwicklung könnten Zahnmediziner bereits beitragen, indem sie vorsichtiger verschreiben. Leider geht die aktuelle Entwicklung in die falsche Richtung. So stieg in Kanada die zahnmedizinische Verschreibungshäufigkeit von Antibiotika zwischen 1996 und 2013 um fast zwei Drittel – bei zeitgleichem Rückgang bei Hausärzten um gut 18 Prozent [2]. Als mögliche Ursachen nennen die Autoren unter anderem falsch gestellte Indikationen.

In Deutschland noch keine Leitlinie

Aktuelle Studien zeigen, dass Antibiotika schon bei Kleinkindern die Darmflora ungünstig beeinflussen und dadurch zum Beispiel das Immunsystem schwächen können [3]. Nach einer Empfehlung der American Academy of Pediatric Dentistry (AAPD) für Kinderzahnärzte ist entsprechend bei akuter Pulpitis, aber auch bei lokal begrenzten periapikalen Prozessen in der Regel keine Antibiose indiziert. Stattdessen sollte für einen sinnvollen Sekretabfluss trepaniert, ein submuköser Abszess inzidiert werden [4]. In Deutschland fehlt eine entsprechende Empfehlung oder Leitlinie, ebenso wie aktuelle Papiere für die meisten anderen Teildisziplinen.

Prophylaktische Antibiose vor Implantation häufig verzichtbar

Nach der aktuellen Literatur sind Antibiotika zum Beispiel als prophylaktische Gabe vor Implantationen bei gesunden Patienten in der Regel verzichtbar. Reviews zeigen, dass postoperative Beschwerden durch perioperative Abschirmung nicht signifikant gemindert werden [5, 6]. Weiterhin ist eine Endokarditis-Prophylaxe nur bei ausgewählten Patientengruppen indiziert [7].

Eine gute Mundhygiene und präoperative Spülungen mit Chlorhexidin haben einen signifikant besseren präventiven Effekt als systemische Antibiotika [1]. Auch sollten Patienten sehr eindringlich darauf hingewiesen werden, dass ein Nichtbefolgen von Einnahmeempfehlungen nicht nur den Therapieerfolg gefährdet, sondern auch die Resistenzbildung fördert.

Deutsche Zahnärzte verschreiben in jedem zweiten Fall Clindamycin

Ob deutsche Zahnärzte in den vergangenen Jahren wie in Kanada zunehmend Antibiotika verschreiben, ist nicht bekannt [8]. Dagegen existieren Daten zum Anteil einzelner Wirkstoffe. So zeigte sich, dass Zahnärzte – als einzige Ärztegruppe in Deutschland – in mehr als 50 Prozent der Fälle Clindamycin verschreiben [8]. Dabei handelt es sich um einen Reservewirkstoff, der zum Beispiel bei Penizillinallergien indiziert ist.

Problematisch ist zudem die hohe Nebenwirkungs- und Resistenzrate von Clindamycin [1]. Stattdessen sollten in der Regel Standardpräparate, an erster Stelle Amoxizillin mit Clavulansäure verschrieben werden [9]. Resistenzen gegen diese Wirkstoffe bei odontogenen Abszessen waren im Jahr 2012 noch begrenzt [1]. Die veraltete DGZMK-Empfehlung aus dem Jahr 2002 ist daher in diesem Punkt weiterhin gültig [9].

Probleme mit Fehlverschreibungen gibt es nicht nur in der Zahnmedizin allgemein, sondern zum Beispiel auch speziell für die Parodontologie (siehe Kurzinterview mit Prof. Georg Conrads) [10]. Die Studie von Falkenstein und Mitarbeitern aus der Conrads-Gruppe und systematische Übersichtsarbeiten bieten Orientierung, welche Medikationen aktuell angezeigt sind [11, 12].

Die fehlerhafte Verschreibungspraxis ist inzwischen auch Thema beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) von medizinischer Selbstverwaltung und Krankenkassen. Dieser will über Abrechnungen und Rezepte aktuelle Daten erheben und auf ihrer Basis gegensteuern [13]. Wer auf die Ergebnisse nicht warten möchte, kann – wenn erforderlich – schon heute mit einer verantwortungsvolleren Medikation beginnen.

Literatur

[1] Halling F. Zahnmedizin up2date 2014. (1):67-82

[2] Marra F et al. J Am Dent Assoc 2016. 147(5):320-327

[3] Korpela K et al. Nat Commun 2016. 7:10410

[4] American Academy of Pediatric Dentistry; Clinical Practice Guidelines 2014. 37(6):289-291

[5] Chrcanovic BR et al. J Oral Rehabil 2014. 41(12):941-956

[6] Lund B et al. Clin Oral Implants Res 2015. 26(Suppl 11):1-14

[7] Naber CK et al. Kardiologie 2007. 1:243-250

[8] Halling F. zm 2010. 100(09):50-55

[9] Al-Nawas B. guideline. DGZMK 2002

[10] Falkenstein S et al. Clin Oral Investig, online publiziert 2016-01-23

[11] Lang NP. J Int Acad Periodontol 2015. 17(1 Suppl):31-33

[12] Rabelo CC et al. J Clin Periodontol 2015. 42:647-657

[13] zm Redaktion; zahnärztliche mitteilungen www.zm-online.de, abgerufen 2016-07-13

[14] World Health Organization WHO; www.who.int 2016

[15] Diagoras; www.diagoras.eu 2016

[16] Koch JH. ZahnMedizin kompakt, www.dzw.de 2015