Anzeige
Gesundheits-Apps: Welche Chancen sich für die Medizin ergeben
Handy wird bedient

Rund 90.000 Gesundheits-Apps sind derzeit auf dem Markt. Doch bei allen Chancen müssen die Risiken bedacht werden.

Immer mehr IT-Unternehmen entwickeln Apps für die Prävention oder für chronisch kranke Patienten. Auch medizintechnische Geräte werden immer häufiger durch Apps ergänzt. Viele dieser neuen Apps haben die reguläre medizinische Versorgung, den "ersten Gesundheitsmarkt" im Blick. Das teilt die Messe Berlin mit und macht in dem Zuge auf den Kongress "conhIT Connecting Healthcare Berlin" aufmerksam.

Zwischen 80.000 und 90.000 Apps

Für die Gesundheits-IT-Branche würden sich mit den Apps große Chancen aber auch Herausforderungen ergeben. Vor allem Qualitätssicherung und Interoperabilität würden sich gegenüberstehen.

Wie die Messe Berlin weiter mitteilt hätten sich viele Gesundheits-Apps innerhalb weniger Jahre von einer Spielweise für technikverliebte "Self-Quantifier" zu einem Massenphänomen entwickelt.

In der im Sommer 2016 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellten CHARISMHA-Studie gehen die Autoren davon aus, dass es allein in den App-Kategorien "Medizin" und "Gesundheit und Fitness" zwischen 80.000 und 90.000 Apps in den App-Stores von Apple, Google und Microsoft gibt. Andere Schätzungen sprechen laut Angaben der Messe Berlin von einer deutlich sechsstelligen Zahl.

Relevanter als die schiere Anzahl von Gesundheits-Apps sei auch die Tatsache, dass diese immer stärker in der Versorgung ankommen und immer häufiger mit Sensortechnik verknüpft werden, die es erlaubt, eigene gesundheitsrelevante Daten aufzuzeichnen.

So würden Blutzuckermessgeräte heute oft mit Apps verknüpft, in denen die Messwerte zunehmend automatisch dokumentiert werden. Ähnliches sei beim Bluthochdruck zu beobachten. Apps würden außerdem bei elektronischen Patientenakten als Inter kommen bei elektronischer Patientenakten außerdem als Interface für den Datenzugriff zum Einsatz. Und Krankenhäuser, zunehmend auch Praxen, arbeiten mit Service-Apps, die Terminbuchungen oder eine Datenübermittlung ermöglichen.

Chancen werden oft unterschätzt

Kernversprechen der Gesundheits-Apps ist eine digital vernetzte medizinische Versorgung, bei der der Patient, nicht die medizinische Einrichtung, im Mittelpunkt steht. Gleichzeitig gibt es Herausforderungen, zum Beispiel beim Datenschutz.

So haben die Datenschützer des Bundes und der Länder im Frühjahr 2016 in einer Entschließung zu Wearables und Gesundheits-Apps zu einem effektiveren Schutz der verarbeiteten Daten aufgerufen. Und in einer Stichprobe Ende 2016 zeigte sich, dass Datenschutzerklärungen oft mangelhaft und der Umgang mit den erhobenen Daten in vielen Fällen intransparent waren.

Generell neige die öffentliche Diskussion in Deutschland dazu, Risiken stark in den Vordergrund zu rücken. "Es besteht die Gefahr, dass die Chancen im Verhältnis zu den Risiken systematisch unterschätzt werden", betont etwa Dr. med. Urs-Vito Albrecht vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der Medizinischen Hochschule Hannover. Albrecht, federführender Autor der CHARISMHA-Studie, fordert deswegen eine intensivere Diskussion um Ansätze, mit deren Hilfe bei Gesundheits-Apps Nutzen definiert und abgebildet werden kann.

Gesundheits-Apps müssen politisch "mitgedacht" werden

Entscheidend für den dauerhaften Erfolg von Gesundheits-Apps im deutschen Gesundheitswesen wird es sein, dass die Welt der Apps, die Welt der traditionellen Gesundheits-IT und die Welt der politisch vorangetriebenen Telematikinfrastruktur für das deutsche Gesundheitswesen keine separaten Welten bleiben.

"Die ausdrückliche Erwähnung des mobilen Zugriffs auf die Telematikinfrastruktur im E-Health-Gesetz war hier ein wichtiges Signal. Allerdings muss jetzt auch in der Umsetzung sichergestellt werden, dass der Patient mit seinen mobilen Anwendungen wirklich Zugang zur Telematikinfrastruktur erhält", betont der Geschäftsführer des Bundesverbands Gesundheits-IT - bvitg Ekkehard Mittelstaedt.

Aus Sicht des bvitg, der dazu ein ausführliches Positionspapier formuliert hat, sollten Gesundheits-Apps Bestandteil einer ausformulierten deutschen eHealth-Strategie sein, die nationale Ziele enthält: "Entwickler und Anwender brauchen Planungs- und Investitionssicherheit und eine innovationsfreundliche Rahmengesetzgebung. Hierzu gehöre aus Sicht des bvitg auch Klarheit zu Aspekten des Datenschutzes, zur Haftung und zur Einordnung von Apps als mögliche Medizinprodukte", so Mittelstaedt. "Neue oder weitergehende Regelungen sind dafür allerdings nicht erforderlich, stattdessen eine auf Apps bezogene Interpretation des Bestehenden."

Mehr Klarheit bei der Medizinproduktezertifizierung

Was das Thema Apps als Medizinprodukte angeht, hat sich einiges getan. So hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Anfang des Jahres ein Innovationsbüro mit zwei festen Stellen eröffnet, um IT-Unternehmen und hier nicht zuletzt Start-ups schon in einem frühen Stadium der Entwicklung zu unterstützen.

"Bei der Beratung geht es zum Beispiel darum, wann es sich bei einer App um ein Medizinprodukt handelt oder welche klinische Prüfung nötig ist. Teilweise gibt es da wirklich falsche Vorstellungen", betont BfArM-Präsident Professor Karl Broich. Maßgeblich für die Einordnung einer App ist laut Messe Berlin die Zweckbestimmung des Herstellers. Manchen sei das allerdings zu ungenau. Auch Broich sieht hier noch Präzisierungsbedarf:

"Wir werden noch genauer definieren müssen, was ein diagnostisches Tool oder ein Therapiehinweis ist." So sind elektronische Fachbücher oder digitale Krankheitstagebücher keine Medizinprodukte, ein Dosisrechner dagegen schon. Medizinprodukt heißt aber nicht, dass automatisch eine große klinische Studie erforderlich wäre, um die CE-Zertifizierung zu erlangen: "Ein Dosisrechner muss die normalen Präzisionskriterien erfüllen, die auch für andere Labor-Tools gelten. Das ist nicht besonders kompliziert", so Broich.

Transparente Qualitätskriterien auch für Nicht-Medizinprodukte

Doch die Medizinproduktezertifizierung ist nicht alles: "Die staatliche Regulierung greift nur für Apps, die vom Hersteller als Medizinprodukte eingestuft werden. Die meisten Apps mit Gesundheitsbezug sind aber keine Medizinprodukte", so Albrecht.

Hier seien die Hersteller gefragt, Standards zu implementieren, die geeignet sind, das Vertrauen in die Produkte zu erhalten: "Versäumen die Hersteller das, besteht die Gefahr, dass den Produkten das Vertrauen entzogen wird, was wiederum regulatorische Maßnahmen nach sich ziehen würde, die letztlich innovationshemmend wirken und insbesondere kleine Unternehmen benachteiligen würden", so Albrecht.

Kriterienkataloge, an denen sich Hersteller wie auch Nutzer von Gesundheits-Apps bei der Entwicklung qualitativ hochwertiger Gesundheits-Apps orientieren können, gibt es. So hat die Europäische Kommission den "Code of Conduct on Privacy for mHealth" entwickelt, der wichtige Datenschutzregeln zusammenfasst, die Gesundheits-Apps erfüllen sollten. An einem weiteren europäischen Katalog zu technischen Anforderungen an die Datenqualität wie unter dem Titel "Guidelines on Assessment of the Reliability of Mobile Health Applications" derzeit gearbeitet.