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Wer darf, wer darf nicht?

Neue Technologien verändern Märkte. Diese alte Weisheit aus der Wirtschaft bestätigt sich auch und gerade seit einiger Zeit aufgrund der neuen Technologie des Intraoralscanners. Durch die Einfachheit der Anwendung und die flexible Nutzbarkeit der Daten erfreut sich die Technik schon seit einer ganzen Weile einer stets wachsenden Beliebtheit. Und immer da, wo neue Entwicklungen alte Strukturen herausfordern, benötigt die Gesellschaft und auch das Rechtssystem eine Weile, um sich darauf einzustellen.

Beispielsweise im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Alignern sind Intraoralscans aktuell Gegenstand einer kontroversen Diskussion, die sich um die Kernfrage rangt: Wer darf einen Intraoralscan durchführen?
Eine Vielzahl von Unternehmen, vom kleinen Start-Up bis hin zur Neugründung durch große Player im Dentalmarkt, setzen seit einigen wenigen Jahren auf die Vermarktung der unsichtbaren Zahnspangen. Dabei ist stets die Frage, wie man die Beschaffung der Datensätze möglichst einfach und kostengünstig generiert:
Ist es möglich, auf einen Zahnarzt beim Scanvorgang zu verzichten? Und wenn ja, muss dieser Zahnarzt eventuell gar nicht vor Ort, also auch nicht im selben Gebäude sein? Können eventuell sogar ganz andere Berufsgruppen oder Personen Intraoralscans durchführen, wenn nur ein Zahnarzt die Daten in der Folge fachmännisch begutachtet?
Wurden in der Vergangenheit mehrere Gerichtsprozesse von den verschiedenen Marktteilnehmern hierzu geführt, so zeichnet sich allmählich eine Tendenz ab. Zuvor aber ist zu betrachten, was ein Intraoralscanner rechtlich eigentlich ist.

Komplexe Diagnostik oder schlichte Vorfeldmaßnahme?

Dass Zahnärzte aufgrund ihrer Approbation gemäß Paragraf 1 Abs. 1, 3 Zahnheilkundegesetz (ZHG) selbst durchführen können, ist unbestritten; auch ist im Gesetz in Paragraf 1 Abs. 5 ZHG festgelegt, dass bestimmte Maßnahmen an qualifiziertes Personal delegierbar sind. Das Gesetz nennt hier beispielsweise die Herstellung von Röntgenaufnahmen, Füllungspolituren oder die Herstellung provisorischer Kronen und Brücken. Zahntechniker sind allerdings in der Aufzählung des qualifizierten Personals im Gesetz nicht genannt. Doch bedeutet dies nun, dass ein Zahntechniker einen Intraoralscan nicht durchführen darf?

Die Kernfrage lautet hier, welche Natur ein Intraoralscan im eigentlichen Sinne hat:
Wäre es eine strahlungsintensive Hightech-Diagnosemaßnahme, spräche auf den ersten Blick vieles dafür, eine Approbation oder zumindest sehr engmaschige Delegation in der Zahnarztpraxis zu fordern. Ein Intraoralscan könnte aber auch schlicht eine Art Videoaufnahme des Mundinnenraums sein. Wäre dies der Fall, dann könnte jeder, der eine etwas komplexere Kamera zu bedienen vermag, einen Intraoralscan ausüben.

Die hierzu ergangenen Gerichtsurteile sprechen noch keine einheitliche Sprache. Zu der obigen Frage hat aber der Verfasser vor kurzem in zwei Instanzen vor dem Landgericht Düsseldorf (Az.: 12 O 184/19) und vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (Az.: I-20 U 127/19) gemeinsam mit seinen Kollegen zwei Verfahren mit Erfolg geführt. Bereits das erstinstanzliche Landgericht hielt in seinem Urteil vom 2. Oktober 2019 fest:
„Bei Intraoralscans in der verfahrensgegenständlichen Form durch Fertigung von Videoaufnahmen handelt es sich nicht um eine Zahnärzten nach dem ZHG vorbehaltene Leistung; diese erreichen nicht einmal die Qualität der delegationsfähigen Leistungen nach Paragraf 1 Abs. 5 ZHG wie insbesondere Herstellung von Röntgenaufnahmen oder Situationsabdrücken. Weder liegt ihnen eine der Strahlungsexpositionen bei Röntgenaufnahmen vergleichbare Gesundheitsgefahr inne noch findet eine der Herstellung von Situationsabdrücken vergleichsbare Arbeit im Mundraum des Patienten statt. Vielmehr sind sie technischen Messungen im Vorfeld vergleichbar […]“ (LG Düsseldorf, Urteil vom 2. Oktober 2019, Az.: 12 O 184/19)

Diese Ansicht hat das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 19.05.2020 in der Folgeinstanz vollumfassend bestätigt. Die Gerichte stellen hier also für die Frage der Rechtsnatur eines Intraoralscans auf die Gesundheitsgefährdung ab, die aufgrund der bei dieser Technik genutzten Lichtstrahlen als völlig unbedenklich eingestuft wird.
Die juristische Denkweise ist hier folgende: Etwas, das absolut ungefährlich ist, kann nicht verboten sein. So darf beispielsweise jeder bei einem anderen Menschen den Blutdruck messen, auch wenn er oder sie kein Arzt ist.
Das Besondere dieser Urteile ist, dass es sich in dem streitgegenständlichen Fall nicht um Intraoralscans durch medizinisches Fachpersonal oder Zahntechniker handelte, sondern durch Apotheker und Apothekenpersonal (!). Die rechtlichen Bestimmungen für Apotheker und deren Angestellte erlauben explizit bestimmte Messungen und kleinere diagnostische Maßnahmen.

Zahntechniker-Scan ohne Zahnarzt?

Juristen bedienen sich gerne der Technik des sogenannten Erst-Recht-Schlusses. Wenn ein bestimmtes Argument gilt, dann muss in Konstellationen, die noch besser auf die Kernfrage eines Problems passen, erst recht gelten. Übersetzt lautet dies hier: Wenn ein Apotheker, der mit Zähnen an sich überhaupt nichts zu tun hat, einen Intraoralscan durchführen darf, dann darf dies ein Zahntechniker, der jeden Tag mit Zähnen und dem menschlichen Gebiss arbeitet, erst recht. Die Folgefrage zu jener der Durchführung ist die Frage nach der Auswertung der Daten.
Hier zeigt sich ein anderes Bild. Nach dem Zahnheilkundegesetz ist jedwede finale Entscheidung über eine Diagnostik eine dezidiert zahnärztliche Aufgabe. Auch greift die Parallele zu ungefährlichen Vorfeldmaßnahmen im Rahmen der Diagnostik nicht mehr. Folgt man diesen Grundsätzen, bedeutet dies, dass ein Zahntechniker zwar einen Intraoralscan ohne Weiteres am Patienten durchführen darf. Auch darf er eigene Analysen der dabei gewonnenen Daten anstellen und einen Plan entwickeln, beispielsweise für die Implantatversorgung oder die Nutzung von Alignern. Wichtig ist nur, dass vor der Umsetzung dieser Pläne ein approbierter Zahnarzt das letzte Wort hat.
Dies war auch wesentliche Voraussetzung für die Weiterverwendung der von Apothekern bzw. deren Personal erhobenen Scan-Daten. In dem vorzitierten Urteil des Landgerichts heißt es dazu beispielsweise:
„So hat die Antragsgegnerin indes klargestellt, dass sie mit einem Netzwerk aus approbierten Zahnärzten und Kieferorthopäden zusammenarbeite und dabei sichergestellt sei, dass ausschließlich durch diesen Personenkreis zahnärztliche bzw. kieferorthopädische diagnostische und gegebenenfalls therapeutische Leistungen erbracht würden.“ (LG Düsseldorf, Urteil vom 2. Oktober 2019, Az.: 12 O 184/19)
Entscheidend ist insofern, dass bei einem Scan, den eine Helferin, ein Apotheker oder ein Zahntechniker angefertigt hat, zu einem späteren Zeitpunkt der Zahnarzt selbst über die Verwertbarkeit und den Nutzen des Bildmaterials entscheidet.
Es muss im Einzelfall möglich sein, dass vor einer finalen Entscheidung und, dem vorgelagert, einer qualifizierten Aufklärung durch den Patienten eine zahnärztliche Korrektur des Plans und eventuell die Anordnung eines neuen Scans erfolgen kann.

Und die Moral von der Geschicht‘ …

Die Rechtsprechung hat das letzte Wort, nämlich das des Bundesgerichtshofs, zu den Detailfragen in diesem Bereich noch nicht gesprochen. Die jüngsten Urteile sprechen jedoch eine deutliche Sprache.
Jeder darf einen Intraoralscan durchführen, da es sich bei dem reinen Scan-Vorgang nicht um eine dezidiert zahnärztliche Tätigkeit handelt. Viel wichtiger als die Frage, wer den Scan durchführt, ist die Frage, was mit den erhobenen Daten geschieht. Hier ist ebenso gerichtlich festgestellt worden, dass ein Zahnarzt jedwede Auswertung der Daten zumindest im Wege einer Letztentscheidungsbefugnis bzw. Letztbewertungsbefugnis in der Hand halten muss.
Die Digitalisierung hat schon viele Märkte durcheinandergewirbelt. Nach der aktuell noch andauernden Veränderungsphase werden sich die Beteiligten, seien dies die klassischen Berufe wie Zahnärzte oder Kieferorthopäden auf der einen Seite, Zahntechniker auf der anderen Seite oder auch neu gegründete Aligner-Start-Ups, mit fortschreitender Rechtssicherheit auf ein Miteinander im Markt verständigen – oder der Markt und die Gerichte werden das Miteinander regeln. Ohnehin bietet die Zusammenarbeit auch in diesem Teilbereich der Digitalisierung mehr Chancen als Gefahren: Durch die Entzerrung von Datenerhebung und Datenauswertung ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für ein modernes Arbeiten im digitalen Workflow. 

-Dr. Tobias Witte, Münster-

Über den Autor

Dr. Tobias Witte ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in der “Kanzlei für Wirtschaft und Medizin” (kwm). Außerdem ist er Zertifizierter Datenschutzbeauftragter und Justiziar des BNKD e.V.

Kontakt via E-Mail und weitere Informationen unter tobiaswitte.de sowie kwm-rechtsanwaelte.de