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Jetzt oder nie – die elektronische Gesundheitsakte

Kasssen bieten bereits 60 Millionen Versicherten eine elektronische Gesundheitsakte an.

Kasssen bieten bereits 60 Millionen Versicherten eine elektronische Gesundheitsakte an.

Ohne die Gematik kommt immer mehr Leben in die elektronische Gesundheitsakte (eGA). Nach TK-Safe und dem AOK-Gesundheitsnetzwerk wurde jüngst in Berlin im Vorfeld des Hauptstadtkongresses ein weiteres großes eGA-Projekt vorgestellt: Vivy. Erstmals haben sich gesetzliche und private Krankenversicherungen zusammengeschlossen und bieten ihren Versicherten eine App an, mit der sie ihre Gesundheitsdaten eigenständig verwalten können. Das reicht von einfachen Anwendungen wie dem Erfassen von Arztbriefen, Befunden, Laborwerten, Medikationsplänen, Notfalldaten und geht bis zur Prüfung von Medikamentenunverträglichkeiten, Erinnerungsfunktionen für Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen bis hin zur Speicherung von dreidimensionalen Röntgenaufnahmen. Der Patient verfügt so eigenständig über seine Gesundheitsdaten und kann eigenständig den Zugriff für Ärzte und in Krankenhäusern ermöglichen. Persönliche Daten, die die Anwender über Fitness Tracking oder Wearables erheben, können ebenfalls in die App Vivy integriert werden. Die Daten sind Ende zu Ende verschlüsselt. Ohne den privaten Schlüssel des Anwenders lassen sich die Daten nicht lesen. Der TÜV Rheinland hat die Datensicherheit zertifiziert. Die Daten liegen verschlüsselt auf einem Server in Deutschland. Natürlich ist die Nutzung der App freiwillig. Bei Vivy nehmen 90 Krankenkassen teil, darunter die DAK, die BahnBKK, Allianz und Gothaer. Etwa 25 Millionen Versicherte können ab Juli die App nutzen.

Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit unter dem Motto „Digitalisierung und vernetzte Gesundheit“

Auch vor der Hauptstadtkongress-Eröffnungsrede von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – die rhetorisch gekonnt war, inhaltlich aber naturgemäß nicht voller Überraschungen steckte – stand der Status quo der Digitalisierung im Mittelpunkt der Eröffnungsveranstaltung. Gleich zu Beginn stellte Prof. Dr. h.c. Hasso Plattner, Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats des Softwarekonzerns SAP, sein Projekt einer HealthCloud vor, die am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam entwickelt wird. Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) bietet die praxis- und innovationsorientierten Studiengänge IT-Systems Engineering sowie ein Zusatzstudium in der Innovationsmethode Design Thinking an. Das HPI ist privatfinanziert und das Studium gebührenfrei. Plattner wurde zur Kongresseröffnung thematisch passend per Videobotschaft zugeschaltet. „Wir können die medizinische Versorgung mithilfe der digitalen Technik verbessern, so Plattner, und es ließen sich auch die Kosten verringern. Auch Plattners HealthCloud will die Bürger in den Mittelpunkt stellen und alle Daten, die Ärzte, Krankenhäuser und andere Institutionen erheben, bündeln und dem Bürger zur Verfügung stellen. Die Patientendaten seien mehrfach geschützt und verschlüsselt. „Nur mit dem Schlüssel der Patienten kann auf die Daten zugegriffen werden“, sicherte Plattner zu. Mittels „machine learning“ könne zukünftig die riesige Datenmenge, die im Gesundheitswesen anfalle, bewältigt werden, mögliche Muster erkannt und damit Wissenschaftlern als Grundlage für weitere medizinische Anwendungen dienen.

Plattner setzte also ebenso auf eine neue umfassende Form einer eGA. In der anschließenden Diskussion kritisierte Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, dass Kassen und Leistungserbringer sich seit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte vor zwölf Jahren um „die Macht gekloppt“ hätten, statt nach konstruktiven Wege zu suchen, dass Patienten Zugang zur ihren Daten erhielten. Dr. Markus Müschenich, Co-Founder und Managing Partner des Flying Health Incubators und Vorstand des Bundesverbands Internetmedizin, sieht die Grundproblematik des digitalen Durchbruchs in der Verhinderung von Innovationen durch Start-ups in Deutschland. Für die Telematikinfrastruktur sähe er durchaus eine Daseinsberechtigung und relativierte die Kosten für das Projekt. Sie sei eine gut funktionierende, sichere Infrastruktur für den Datenaustausch im Gesundheitswesen – im Bild eine gut gebaute Autobahn – mit Verkehrsleitsystem und ohne Schlaglöcher. Er betrachte die staatliche Aufgabe darin, für diese Infrastruktur zu sorgen. Damit ende für ihn der sinnvolle staatliche Eingriff. Der Staat solle anschließend nicht die „Autos“ bauen, die darauf führen. Den mehreren Tausend Besuchern der Eröffnungsveranstaltung präsentierte Prof. Dr. Erwin Böttinger, Direktor des HPI, dann live seine amerikanische Patientenakte über sein Smartphone. Mit ihr könne er selbstbestimmt verfügen, welche Informationen er mit Ärzten und Krankenhäusern teile wolle. Auch seien die erfolgten Zugriffe auf seine Daten dokumentiert.

Handeln oder warten auf den jüngsten Tag?

Die gesundheitspolitischen Sprecherinnen der CDU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, und der FDP-Bundestagsfraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, befürworteten in einer Diskussionsrunde am Nachmittag des Eröffnungstags des Hauptstadtkongresses die Initiativen der Kassen zur eGA ausdrücklich. Maag führte weiter aus, dass die eGA sogar Voraussetzung für die sektorenübergreifende Versorgung sei.

Der Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung sieht die Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) bis 2021 vor. Laut Bericht in der „Ärztezeitung“ läge Gematik-intern bereits ein Entwurf für die ePA vor. Sie sei aber nicht mit den Angeboten der Krankenkassen kompatibel. Die Gematik lehne dies aus Sicherheitsgründen ab. Die eGa-Angebote der Kassen hatten sich offen zur Anbindung der ePA aufgestellt.

TK-Safe ist ein eGA-Angebot für 10 Millionen Versicherte, das AOK-Gesundheitsnetzwerk adressiert 25 Millionen Versicherte und Vivy ist ebenfalls eine eGA-Option für weitere 25 Millionen Versicherte. Alle Angebote dürften – schon im Sinne der Kassen – sichere Angebote sein. Alle sind sie daraufhin überprüft. Alle Angebote gewährleisten zeitgemäße Nutzung über das Smartphone des Nutzers. Alle Angebote bieten den Bürgern einen selbstbestimmten Umgang mit den eigenen Gesundheitsdaten. Stimmen die Berichte und die Gematik ließe real existierende Kassen-eGA-Angebote für insgesamt 60 Millionen Versicherte außen vor, geriete die Gematik wohl endgültig unter Legitimitätsdruck. Zu Recht. Die Gematik wurde Anfang 2005 gegründet. Die Erfolge der letzten 13 Jahre dürfen als überschaubar gewertet werden.