Anzeige
Die Fluorid-Debatte reloaded
Die Fluorid-Debatte wird zunehmend laut geführt.

Die Fluorid-Debatte wird zunehmend laut geführt.

Kariesprophylaxe: Darf es ein bisschen mehr sein?

Mittlerweile hat sich der Kampf um die Deutungshoheit über die Wirksamkeit oder vermeintliche Schädlichkeit von Fluorid von Sachargumenten zunehmend in die Bespielung öffentlicher Medien verschoben. Auf die jüngst publizierte ELEMENT-Studie, die einen neurotoxischen Zusammenhang zwischen erhöhter Fluorid-Aufnahme von Schwangeren und dem IQ ihrer Kinder zu belegen scheint, folgten allerorten Beteuerungen zur wissenschaftlich belegten Wirksamkeit von Fluorid in der Kariesprophylaxe.

Mitten in die Fachdebatte offeriert das Unternehmen Dr. Wolff marktschreierisch seine fluoridfreie Zahnpasta Karex, die mit Hydroxilapatit einen studiengesicherten alternativen Schutz vor Karies bieten soll. Der Fauxpas: Die Studie ist nicht veröffentlicht und dient so wenig als Kronzeuge. Nun folgten Bulletin auf Bulletin. Hier belegt eine Studie aus Gambia die kariesprophylaktische Wirkung von Fluoridsalz beim Einsatz in der Gemeinschaftsverpflegung, als wäre die Situation auf Deutschland übertragbar. Dort erscheinen ganzseitige Anzeigen in bundesweit 40 Tageszeitungen, die vordergründig an Zahnärzte adressieren und sich mit pompösem „JA, ABER“ im Namen Dr. Wolffs für die Kampagne entschuldigen, um im Herzen allen Lesern zu signalisieren, Karex biete nun endlich einen fluoridfreien Kariesschutz. Als gäbe es nicht schon eine Flut fluoridfreier Zahnpastasorten, seit Jahren, schon immer. Und wie hoch ist bitte der Prozentsatz von Zahnärzten in der Leserschaft einer regionalen Tageszeitung denn überhaupt? Wahrscheinlich in etwa so hoch wie der Fluoridanteil in der Zahnpasta?

Der Diskurs erreicht mittlerweile die Spannbreite von verhärtet bis verlogen.

Ideologische Gräben

Fluorid ist ein wichtiges Spurenelement zur Härtung von Zähnen und Knochen, zur Einlagerung von Kalziumphosphat in den Zahnschmelz und kann auch antibakteriell wirken. „Fast 80 Prozent der 12-jährigen Sechstklässler in Deutschland haben kariesfreie bleibende Gebisse.“ Das zeigen die im Auftrag der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) durchgeführten „Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe“, für die bundesweit im Schuljahr 2015/16 mehr als 300.000 Kinder zahnärztlich untersucht wurden. Das Ergebnis spricht Bände über die Wirksamkeit von Fluorid in der Kariesprophylaxe.

Lassen wir die Aluhüte und Verschwörungstheoretiker einmal außer Acht, tun sich immer noch Gräben auf. In der von diversen Fachgesellschaften der Zahnheilkunde und der Kinder- und Jugendmedizin gemeinsam verfassten Leitlinie zu „Fluoridierungsmaßnahmen zu Kariesprophylaxe“ gibt es nur einen Punkt, in dem sich Mediziner und Zahnmediziner nicht auf eine gemeinsame Empfehlung einigen konnten: Und das betrifft die Anwendung fluoridhaltiger Zahnpasta vs. Fluoridtabletten im Vorschulalter. Hier steht formal die topische Anwendung wider die systemische, aber nur vordergründig. Denn am Ende geht es um die kontrollierte Gabe von Fluorid. Zahnpasta gilt als kosmetische Produkt und ist nicht zum Verzehr geeignet und muss dies auch nicht sein. Kinder, gerade kleinere Kinder, neigen aber dazu, die meist wohlschmeckende Zahnpasta nicht auszuspucken, sondern herunterzuschlucken. Und sie neigen auch dazu, eher mehr Zahnpasta zu verwenden als die empfohlene Menge.

Natürlich ist Fluorid in vielen Lebensmitteln wie Nüssen, Tee, Getreide, Fisch und allerlei Seegetier enthalten. Dazu kommt die fluoridhaltige Zahnpasta, das fluoridhaltige Speisesalz, selbst Zahnseide ist mittlerweile fluoridhaltig. Vor lauter Fluorid fangen einige an zu fragen: Ab wann ist es eigentlich genug? Und die Frage scheint berechtigt.


Fluorid

5 mg/kg Körpergewicht = erste toxische Effekte bei Kleinkindern

= 75 mg/15 kg Körpergewicht

 

Tube mit 75 ml Zahnpasta wiegt 100 g.

Fluoridgehalt einer Tube:

50 mg bei 500 ppm

100 mg bei 1.000 ppm

150 mg bei 1.500 ppm

 

WHO

0,05 mg bis 0,07 mg/kg Körpergewicht = empfohlene Obergrenze interner Aufnahme von Fluorid am Tag

= 0,75 mg/15 kg Körpergewicht


Kleinkinder müssten also schon eine ganze Menge Zahnpasta „essen“, um akute Vergiftungserscheinungen zu zeigen. Schauen wir uns aber die von der WHO empfohlene Obergrenze an Fluorid-Aufnahme an, sieht es anders aus. Hier reichen bereits 1,5 g einer Kinderzahnpasta mit 500 ppm, um das empfohlene Höchstmaß aufzunehmen.

Es wird Zeit, die Debatte wieder zu versachlichen. Human- und Zahnmediziner sind gefragt, die Dosis und Darreichungsform von Fluorid zu bestimmen, die den individuellen Lebensstil, die Zahnhygiene, die Ernährungsgewohnheiten berücksichtigen, ohne in einen unkritischen Fluorid-Applaudismus zu verfallen oder eine wirksame Kariesprophylaxe gänzlich in Frage zu stellen.