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Parodontitis – eine Gefahr für den orthopädischen Gelenkersatz?
Etwa jeder zweite jüngere Erwachsene ist an einer behandlungsbedürftigen Parodontopathie erkrankt. Zudem haben parodontale Erkrankungen erhebliche Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit.

Etwa jeder zweite jüngere Erwachsene ist an einer behandlungsbedürftigen Parodontopathie erkrankt. Zudem haben parodontale Erkrankungen erhebliche Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit.

Der operative Gelenkersatz ist in der modernen Orthopädie und Unfallchirurgie heute längst Standard geworden. Bei massiven Abnutzungserscheinungen oder irreversiblen traumatischen Schäden können geeignete Implantate langfristig für ausreichende Funktion und Beweglichkeit sorgen. Die häufigsten Endoprothesen betreffen Knie- und Hüftgelenk mit Anteilen von 49 Prozent beziehungsweise 42 Prozent. Je nach Vorschädigung des natürlichen Gelenks kommen dabei Teil- oder Voll-Endoprothesen zum Einsatz.

Die häufigsten Komplikationen und Ursachen für den vorzeitigen Verlust des Implantats sind Infektionen. Dabei werden postoperative, bereits kurz nach der Implantation auftretende periprothetische Infektionen von Spätinfektionen innerhalb von zehn Jahren nach dem Gelenkersatz unterschieden. Während erstere ihre Ursache meist in einer intraoperativen Einbringung von Keimen in das Wundgebiet oder in einer vorbestehenden Infektion benachbarter Gewebe haben, sind Spätinfektionen fast immer die Folge einer haematogenen oder lymphogenen Aussaat von Bakterien. Als Streuherde kommen hier alle chronisch-mikrobiellen Entzündungsfoci des Körpers infrage. Neben urogenitalen, gastrointestinalen und dermatologischen Läsionen gehören dazu auch alle floriden oralen Inflammationen wie Gingivitis und Parodontitis.

Gefährdung der Implantate durch bakteriämische Streuung oraler Keime

Bekanntlich werden bei den betroffenen Patienten die Zahnfleischtaschen von variabel zusammengesetzten Biozönosen von Mikroorganismen besiedelt. Diese sind in komplexen Biofilmen organisiert. Die Fähigkeit vieler parodontal-pathogener Keime, die Epithel/Bindegewebeschranke zu durchbrechen und auch in Blutgefäße einzudringen, ermöglicht ihnen auf diesem Weg eine Dissemination in den gesamten Körper. Allein beim Kauen und Zähneputzen kommt es bei 20 bis 58 Prozent der Patienten zu einer passageren Bakteriämie; bei invasiven Eingriffen am Zahn wie Extraktion oder deep scaling sogar bei 100 Prozent. Das Ausmaß der Bakteriämie und die Virulenz der in den Blutstrom eingebrachten Keime variiert nach Zustand des Zahnhalteapparats, Alter, persönlicher Mundhygiene und Zusammensetzung des Speichels.

Passagere Bakteriämien können zumindest bis zu einem gewissen Grad durch unsere systemische Immunabwehr rechtzeitig vor einer Absiedelung an Organen und Strukturen des Körpers beendet werden. Zu häufige oder zu fulminante bakteriämische Episoden führen aber zu Problemen. Personen mit vorbekannten extra- und intraartikulären Infektionen oder vorbestehenden Defekten an Gelenken zählen zum gefährdeten Personenkreis. Auch bei Schwächen der Immunabwehr, wie bei immunsuppressiven Therapien oder Erkrankungen wie HIV, Autoimmunkrankheiten, Diabetes mellitus, diversen Blutkrankheiten, rheumatoider Arthritis, Malignomen und Mangelernährung besteht die Gefahr einer haematogen verursachten Infektion.

Fremdmaterial im Körper begünstigt Keimbesiedelung

Artifizielle Oberflächen wie Implantate, bieten ideale Voraussetzung zur Etablierung von Biofilmen, zu der orale Bakterien ja bestens geeignet sind. Gelenkendoprothesen bestehen aus Metallen, wie Titanlegierungen oder Kobalt/Chrom/Molybdän, sowie aus unterschiedlichen Kombinationen von Materialien, wie Keramik und Polyethylen. Die Oberflächen dieser Werkstoffe werden bei und nach der Einheilung mit Wirtsproteinen überzogen, die den mit dem Blutstrom herangeführten Bakterien eine Anheftung erleichtern.

Zu den häufigsten Biofilmbildnern auf Implantatoberflächen zählen Streptokokken der Viridansgruppe, zu denen die oralen Bakterien S. sanguinis, S. mitis, S. anginosus und S. mutans gehören, des weiteren Staphylokokken wie S. aureus, aber auch eine Reihe gramnegativer Anaerobier aus den Gruppen Prevotella, Peptostreptococcus und Fusobacterium. Besonders Fusobacterium nucleatum ist aufgrund seiner besonderen Fähigkeit zur Invasion und zur Adhärenz sowohl direkt auf der Implantatoberfläche als auch an anderen Keimen ein wichtiger Brückenbildner bei der Etablierung der Biofilme auf dem Gelenkersatz.

Gramnegativen Keimen wird durch die Besonderheiten ihrer Zellwände beziehungsweise Oberflächen, wie Pili, Glycocalyx und Fimbrien, eine Anheftung zusätzlich erleichtert. Über Vernetzung mit anderen Bakterien können so Mikrokolonien gebildet und mehrlagige Schichten von Keimen abgelagert werden. Koaggregation und synergistische Wechselbeziehungen zwischen den Spezies schützen die Keime hier, ganz ähnlich wie auch in den Zahnfleischtaschen, vor dem Immunsystem und vor exogen zugeführten antibakteriellen Wirkstoffen. Implantatinfektionen sind in den meisten Fällen polymikrobiell verursacht. Analysen von Sulkusflüssigkeit und Synovialflüssigkeit von Patienten mit Spätinfektion an Knie-oder Hüftimplantaten ergaben hinsichtlich der untersuchten DNS eindeutige Übereinstimmungen.

Zahngesundheit schützt den Gelenkersatz

Oft stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Antibiotikaprophylaxe vor invasiven zahnmedizinischen Eingriffen bei Patienten mit Gelenkendoprothesen. Hier sind allgemeingültige Empfehlungen schwierig, und das Problem wird kontroversiell gesehen und diskutiert. Bei Vorliegen von eindeutigen Streuherden, wie Abszessen, Granulomen oder eiternden Zahnfleischtaschen, und entsprechenden Komorbiditäten des Patienten ist eine Abschirmung notwendig und sinnvoll. Besonders in den ersten beiden Jahren nach Gelenksersatzoperation besteht eine stark erhöhte Infektionsgefahr.

Andererseits stellen rezidivierende Bakteriämien im Rahmen einer nicht oder unzureichend behandelten Parodontitis eine noch größere Gefahr dar. Es wäre daher eine möglichst vollständige Sanierung von oralen Entzündungsherden und Infektionsquellen möglichst noch vor der geplanten Gelenkoperation in Absprache mit dem behandelnden Orthopäden dringendst zu empfehlen.