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Praxisführung: Wege aus dem Paradies der Inkompetenz

Praxisteam

Wenn die Ente nicht schwimmen kann, liegt es am Wasser. Wenn der Chef nicht führen kann, an den renitenten Mitarbeitern. Wenn die Mitarbeiterin inkompetent ist, am unfairen Chef. Schnell sind wir dabei, Fehler bei anderen Menschen zu suchen und zu finden. So sind wir gefangen in einer Art Selbsttäuschung und werden blind für die eigentliche Ursache des Problems.

Das gilt besonders dann, wenn wir viel investiert haben. Haben Sie beispielsweise eine Mitarbeiterin eingestellt und sich sehr um sie bemüht, investieren Sie immer weiter, auch wenn sie bemerken, dass Grenzen immer deutlicher hervor treten. Nicht jede Kraft lässt sich zur Praxismanagerin weiterentwickeln, auch dann nicht, wenn sie schon fünf oder mehr Jahre dabei ist. Und dennoch geben wir nicht so schnell auf, wenn wir eine Überzeugung haben und unser Einsatz bisher hoch war. Manchmal sind am Schluss beide Seiten frustriert und rückblickend wären sie froh gewesen, früher das Limit erkannt zu haben. Gleichzeitig möchte man sich nicht vorwerfen, nicht alles versucht zu haben, bevor man aufgibt. Besonders dann, wenn es um Menschen geht.

Wir alle bauen uns unsere eigene Sicht der Welt zusammen, die oft wenig von Realitäten getrübt ist. Das erhält uns psychisch stabil und ermöglicht uns eine Art Sicherheitsempfinden. Denn alles, was nicht zu unseren Vorstellungen passt, interpretieren wir um. Mögen wir eine Person, wird aus „schusselig“ ein „unsicher“ und aus „frech“ ein „einfach noch jung“. Wenn wir eine Person nicht mögen, interpretieren wir genau umgekehrt.

Der klare Blick liegt uns nicht

Und wenn wir bemerken, dass etwas nicht funktioniert, suchen wir die Ursache an anderer Stelle. Das, was psychisch durchaus gesund ist, steht manchmal dem Wunsch entgegen, sich beständig weiterzuentwickeln und gute Lösungen für schwierige Situationen zu finden. Denn nur mit einem ungetrübten Blick auf die eigenen Verbesserungschancen kann ein Weiterkommen angestoßen werden.

Interessanterweise urteilen Menschen, die an Depression erkrankt sind, oft realitätsnäher über ihre eigenen Kompetenzen und schätzen Situationen realistischer ein. Denn psychische Gesundheit geht oft mit Selbstüberschätzung einher. Das belegen verschiedene Untersuchungen. So halten sich etwa neun von zehn Autofahrern in Deutschland für besonders gut. Und vier von fünf Menschen halten sich für überdurchschnittlich intelligent. Eine Einschätzung, die nicht jeder teilen kann, der in Deutschland unterwegs ist.

Selbstüberschätzung und Inkompetenz positiv korreliert

Diese getrübte Sicht auf die Welt mag den Alltag erleichtern, gleichzeitig korreliert die Selbstüberschätzung leider positiv mit der tatsächlichen Inkompetenz. Jemand, der ein ausgewiesener Fachmann in seinem Gebiet ist, weiß auch um die Grenzen seines Könnens. Und je mehr Wissen er sich aneignet, umso mehr ist er sich bewusst, was er alles nicht kann („Ich weiß, dass ich nicht weiß“, Sokrates/Cicero). Dadurch wird ein tatsächlicher Fachmann vorsichtigere Einschätzungen abgeben als ein Laie.

Bei völliger Inkompetenz ist das viel einfacher: „So schwer kann das doch nicht sein“, sagt man schnell und schätzt eine Sache falsch ein. Nahezu ein paradiesischer Zustand, denn der Person selbst ist nicht bewusst, wie wenig ihre Einschätzung zutrifft. Das Gefühl, mit einem minimalen Halbwissen nahezu ein Experte zu sein, dominiert den vielleicht kleinen Zweifel, ob das tatsächlich alles so einfach sein kann.

Diese kognitive Verzerrung (bekannt geworden als Dunning-Kruger-Effekt) ist manchmal bei Azubis zu beobachten. Ein Azubi im ersten Lehrjahr ist oft selbstgewisser bei der Sache als ein Azubi kurz vor der Prüfung. Letzterer hat schon einige Erfahrung gesammelt und hat daher ein gutes Verständnis für seine Wissenslücken.

In der Kommunikation richtig nutzen

Schwierig wird das manchmal in der Kommunikation, weil mit der eigenen Überschätzung dazu noch eine Unterschätzung der Kompetenz des Gegenübers einhergeht – zum Beispiel gegenüber der anleitenden Praxismanagerin. Das kann zu einem entsprechend selbstsicheren bis hin zu Arroganz neigenden Verhalten führen. Die Praxismanagerin fühlt sich von der neuen Auszubildenden dadurch oft nicht ausreichend respektiert – und schon nehmen Konflikte ihren Lauf. Dabei handelt es sich um ein gängiges und durchaus gesundes Verhalten, das genutzt werden kann.

Dagegen argumentieren bringt an dieser Stelle wenig. Denn einem Unwissenden können Sie schlecht deutlich machen, dass er nichts weiß – wie auch? Allein über die Erfahrung und über die Weiterentwicklung der Kompetenz kann diese Person zu einer realistischen Selbsteinschätzung gelangen. Das wichtigste Lernelement sind hier Fehler. Deswegen – so empfiehlt auch Dunning – ist es so wichtig, die Person, die ihre Kompetenz überschätzt, ins Arbeiten zu bringen, damit sie Erfahrung sammeln kann. Und das fordert Praxisinhabern und Praxismanagerinnen manchmal Gleichmut und Geduld ab.

Gleichzeitig ist ein souveräner Auftritt gegenüber Patienten eine positive Eigenschaft, die Sie begrüßen dürfen. Und wenn ein junger Mensch an sich glaubt, dann lernt er auch viel schneller, als wenn sein Verhalten von Unsicherheit und Selbstzweifel geprägt ist. Und zum Schluss, wenn dann die ZFA-Prüfung in der Tasche ist, denkt sich manch ehemalige Azubi, wie sehr sie die Tätigkeit in der Zahnarztpraxis unterschätzt hat. Gerade Virtuosität wirkt auf Laien sehr einfach. Und genau daran erkennt man echtes Können.

Heißer Tee statt kaltes Wasser

Und wenn Sie sich dafür entscheiden, sich mit Ihrem Azubi zusammenzusetzen und ihm ein paar Dinge zu erläutern, dann bieten Sie ihm ein warmes Getränk an. Dieses Ergebnis der Embodiment-Forschung – also der Forschung um die Wirkung von körperlichen Erfahrungen auf unsere Gefühle und Urteile – können Sie sich in einem solchen Gespräch zunutze machen. Mit einem warmen Getränk in der Hand sind wir positiver gestimmt, halten die Beziehung zu unserem Gegenüber für besser und vertrauen ihm mehr. Zu beobachten ist auch, dass einsame Menschen mehr zu warmen Tees greifen und öfter heiß baden oder duschen. Die wärmende körperliche Erfahrung tröstet über manche Sorge hinweg. So steuert uns unbewusst die Außentemperatur und das Erleben direkter Wärme deutlich mehr als wir annehmen.

Gleichzeitig ist es natürlich spannend zu schauen, warum uns die Selbstüberschätzung des Mitarbeiters so nervt. Manchmal erlaubt man sich selbst nicht so richtig, seine Kompetenz öffentlich zu kommunizieren, und dann ärgert es besonders, wenn jemand, der weitaus weniger weiß und weniger Erfahrung hat, so tut, als sei er bereits kompetent. Dieses nach innen hören und bemerken, was genau den Stress auslöst, kann gut dazu beitragen, entspannter mit der Ente arbeiten zu können, die glaubt, das Wasser sei das Problem.