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Prof. Søren Jepsen: "Parodontologie kann noch mehr"

Ungeachtet des jährlichen Wechsels an der Spitze wird Prof. Jepsen weiter im Vorstand des wissenschaftlichen Dachverbandes engagiert bleiben. Seine nächsten großen EFP-Projekte sind der European Workshop on Periodontology zusammen mit den europäischen Kariologen (ORCA) im November 2016, der Joint EFP/AAP World Workshop on a New Classification of Periodontal and Periimplant Diseases im November 2017 und der Scientific Chair für die Ausgestaltung des nächsten, weltweit bedeutendsten Parodontologie-Kongresses, der EuroPerio9 im Juni 2018 in Amsterdam. In Deutschland ist Jepsen Koordinator einer neuen AWMF-Leitlinie "Diabetes und Parodontitis".

Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen

Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen

DZW: Seit 25 Jahren gibt es die EFP, und ihre Bedeutung wächst weiter. Was bietet sie ihren Mitgliedern und der Zahnärzteschaft?

Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen: Die European Federation of Periodontology (EFP) ist der Dachverband von 29 nationalen parodontologischen Fachgesellschaften, die insgesamt rund 15.000 Mitglieder haben. Übergeordnetes Ziel ist die Förderung der Parodontalgesundheit als Teil der Allgemeingesundheit durch Aus- und Fortbildung, Forschung und Kommunikation. In diesem Jahr feierte die EFP das 25-jährige Bestehen, und wir hatten im April in Berlin eine große Festveranstaltung mit den Präsidenten und Delegierten (Foto).

Zu diesem Anlass konnten wir voller Freude und auch mit Stolz auf 25 Jahre Parodontologie in Europa zurückschauen – auf den großen Erfolg unserer EuroPerio-Kongresse, der bedeutendsten und größten Parodontologietagungen weltweit (die EuroPerio8 in London hatte im vergangenen Jahr annähernd 10.000 Besucher aus der ganzen Welt), auf unser angesehenes wissenschaftliches "Journal of Clinical Periodontology" und auf die European Workshops on Periodontology, die weltweit führenden wissenschaftlichen Konsensuskonferenzen zu Schlüsselthemen der Parodontologie und Implantattherapie. Aufgrund all dieser Aktivitäten genießt die EFP ein sehr hohes Ansehen und gilt als die weltweit anerkannte Autorität in der wissenschaftlich fundierten Parodontologie. Dabei werden wir geleitet von der EFP-Vision "Periodontal health for a better life". Dieses wollen wir als Thema und als Auftrag in die Zahnärzteschaft, aber auch in die Öffentlichkeit transportieren. Und das im europäischen Schulterschluss.

DZW: Was waren die Meilensteine Ihrer Präsidentschaft?

Jepsen: Im Fokus stand natürlich die 25-Jahr-Feier der EFP, die wir zusammen mit der Generalversammlung in Berlin mit einem Festakt begehen konnten. Als wichtigsten Schwerpunkt meiner EFP-Präsidentschaft haben wir eine europaweite Aufklärungskampagne mit dem Ziel gestartet, das Wissen und das Bewusstsein in der Bevölkerung, aber auch in der Gesundheitspolitik über die Bedeutung parodontaler Erkrankungen, Gingivitis und Parodontitis, entscheidend zu verbessern. Die EFP war schon immer sehr gut darin, wissenschaftliche Evidenz zu generieren und diese global in der Fachwelt zu verbreiten. Allerdings haben wir es bisher nicht vermocht, diese Erkenntnisse genauso erfolgreich auch in die nichtspezialisierte Zahnärzteschaft, an die Patienten, in die Öffentlichkeit und zu den gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern zu tragen.

Basierend auf den Erkenntnissen und der Evidenz aus zwei bedeutenden EFP-Konsensuskonferenzen zur Prävention und zu den Wechselwirkungen zwischen parodontaler und systemischer Erkrankung haben wir unter dem Motto „Periodontal Health for a better Life“ einige Kernbotschaften formuliert. Diese haben wir auf verschiedenen Wegen an die Zielgruppen transportiert. 21 nationale Gesellschaften – darunter selbstverständlich die DG Paro – haben am European Perio Day teilgenommen und es wurden zahlreiche sehr originelle öffentlichkeitswirksame Aktionen entfaltet, die ein großes Echo in der Presse und in den sozialen Medien fanden.

Auch haben wir wichtige Kontakte zur WHO und zur International Diabetes Federation (IDF) geknüpft. Wir haben eine Konsensuskonferenz mit den europäischen Kariologen (ORCA) vorbereitet, die im November dieses Jahres stattfinden wird. Weiter haben wir einen World-Workshop mit unseren amerikanischen Kollegen (AAP) zur Erarbeitung einer neuen weltweit gültigen Klassifikation von parodontalen und periimplantären Erkrankungen im Jahr 2017 initiiert und intensiv durchgeplant. Und auch die Vorbereitungen für den nächsten EuroPerio-Kongress 2018 in Amsterdam laufen bereits auf Hochtouren.

DZW: Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit im europäischen Verbund von 29 unterschiedlichen nationalen Fachgesellschaften?

Jepsen: Es ist erstaunlich, wie viel die EFP im Verbund mit ihren nationalen Fachgesellschaften in den vergangenen 25 Jahren erreicht hat– insbesondere wenn man bedenkt, dass die Arbeit im Wesentlichen ehrenamtlich geleistet wird. Hier funktioniert die europäische Zusammenarbeit. Gerade haben wir auf der letzten Vorstandssitzung den strategischen Plan der EFP für die nächsten fünf Jahre erarbeitet und verabschiedet (Foto). Es gibt konkrete Vorstellungen, wie die Zusammenarbeit zwischen der EFP und den fünf großen nationalen Gesellschaften (denjenigen, mit mehr als 1.000 Mitgliedern) noch weiter optimiert werden kann. Die DGParo ist mit ca. 4.800 Mitgliedern die größte nationale Fachgesellschaft innerhalb der EFP und bereichert die EFP durch ihre vielfältigen Aktivitäten. Davon könnten kleinere Fachgesellschaften europaweit profitieren.

DZW: Das Thema Prävention ist in der aktuellen Diskussion. Auch die EFP hat dies zu einem Thema gemacht. Was konnte die EFP hier beisteuern?

Jepsen: Prävention war das Leitthema unseres EFP Workshops Ende 2014. In vier Arbeitsgruppen wurden von 75 internationalen Experten Forschungsergebnisse zu diesem Thema systematisch begutachtet und aufbereitet. Sie betreffen die Grundlagen von Präventionskonzepten sowie die Behandlung von Gingivitis und periimplantärer Mukositis zur primären Prävention von Parodontitis und Periimplantitis. Außerdem beschäftigten wir uns mit den Konzepten, die bei zuvor erkrankten und bereits therapierten Patienten ein Wiederauftreten der Erkrankung verhindern sollen (sekundäre Prävention).

DZW: Wie überführen Sie diese umfangreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis?

Jepsen: Das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt für uns. Deshalb sind wir nicht bei den Workshop-Berichten stehen geblieben, sondern haben die Erkenntnisse aus den Workshops in neun klinische Empfehlungen für die Praxis überführt. Diese können Zahnmediziner auf der EFP-Website nachschlagen. Vereinbart wurde mit den nationalen Gesellschaften, Übersetzungen in ihre Sprache vorzunehmen, um den Transfer in die Praxis zu erleichtern. Die DGParo hat hier sehr rasch und vorbildlich agiert, und es gibt bereits seit Anfang dieses Jahres die deutsche Übersetzung der Leitfäden für Mitglieder auf der Website der DGParo.

DZW: Was sind darin die leitenden Gedanken zum Thema Prävention?

Jepsen: Wichtig ist uns, zu differenzieren zwischen der Primärprävention für Gesunde beziehungsweise lediglich an Gingivitis Erkrankten und einer Sekundärprävention bei zuvor erkrankten, bereits therapierten Patienten. Die PZR ist eine wichtige Maßnahme der Primärprävention. Wichtig ist, Risikofaktoren wie zum Beispiel Rauchen und Diabetes zu berücksichtigen, darüber aufzuklären und Verhaltensänderungen in Richtung eines gesunden Lebensstils zu vermitteln. Zur Therapie einer Parodontitis ist eine alleinige PZR allerdings nicht geeignet. Sekundärprävention nach aktiver Parodontitistherapie beginnt, wenn ein definierter Endpunkt (nach Möglichkeit deutliche Reduktionen von Sondierungstiefen (< 5 mm) und Sondierungsblutung (< 15 Prozent)) erreicht ist und bedeutet unterstützende Parodontitistherapie (UPT), welche die regelmäßige jährliche Erhebung des Parodontalstatus und gegebenenfalls frühzeitige erneute aktive Therapie mit subgingivalem Scaling beinhaltet.

Die DGParo berät die KZBV in dieser Richtung intensiv bei der Neugestaltung der PAR-Versorgung in Deutschland.

DZW: Sie sind Koordinator einer neuen AWMF-Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“. Heißt das, Sie räumen den Zahnärztinnen und Zahnärzten eine neue Rolle im Gesundheitssystem ein?

Jepsen: Wir sind überzeugt, dass Parodontologen und Zahnärzte eine wichtige Rolle spielen können, um Verhaltensänderungen und Gesundheitsförderung zu unterstützen. Es ist doch so, dass die Zahnarztpraxis eine Gesundheitseinrichtung ist, die von gesunden Menschen am häufigsten besucht wird. Darin liegt eine Chance, Krankheiten vorzubeugen oder sie zumindest im Frühstadium zu erkennen.

Deshalb haben wir konsequenterweise die Gesundheitsfachkräfte dazu aufgerufen, das EFP-Manifest „Perio and General Health“ zu unterzeichnen. Darin geht es um die Schlüsselrolle, die das zahnmedizinische Team, das heißt wir als Mundgesundheitsexperten, bei der Verbesserung der Allgemeingesundheit spielen können. Möglichkeiten speziell im Hinblick auf Diabetes wären zum Beispiel, ein Screening auf Diabetes in der zahnärztlichen Praxis durchzuführen oder umgekehrt die Selbsttest-App der DGParo in Arztpraxen einzusetzen. Mit der Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“ wollen wir die Vernetzung von Arzt- und Zahnarztpraxen bei der Prävention und Behandlung der beiden Erkrankungen weiter vorantreiben. Die Leitlinie soll im Sommer 2017 beschlossen werden und eine wichtige Orientierungshilfe für die Praxis sein.

DZW: Dazu wird es aber nicht reichen, die Zahnärzte und die Allgemeinärzte einzubinden. Die Aufklärung der Patienten wird damit umso wichtiger.

Jepsen: Wir sehen uns als EFP und als DGParo in der Pflicht, Patienten aber auch gesundheitspolitische Entscheidungsträger aufzuklären. Deshalb gehen wir mit unserer Arbeit auch in die Öffentlichkeit und weisen auf die hohe Prävalenz der Parodontitis hin. Wir zeigen aber auch auf, wie bedeutsam Früherkennung ist und dass durch aktive und effektive Nachsorge Parodontitis verhindert beziehungsweise auch schwere Parodontitis von qualifizierten Parodontologen gut behandelt werden kann. Auf unserer Agenda steht daher auch, uns für eine bessere und breitere postgraduale Ausbildung einzusetzen und den Fachzahnarzt für Parodontologie zu etablieren. Zugleich fordern wir einen stärkeren Fokus auf Parodontologie in der studentischen Ausbildung. Natürlich sind dies langfristige Aufgaben. Wir haben mit dem europäischen Parodontologietag ein wichtiges Zeichen gesetzt und Aufklärungsmaterialien erstellt, die an Patienten adressiert sind und die die Praxen auch offensiv nutzen sollten.

DZW: Was steht denn nun für Sie persönlich auf der Agenda?

Jepsen: Zunächst gilt es, unsere EFP-Patientenkampagne "Perio for a better life" zu fördern. Die neue AWMF-Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“ wird wesentlich dazu beitragen, das große gemeinsame Thema von EFP und DGParo zum Zusammenhang von Mund- und Allgemeingesundheit weiter voranzutreiben – auch im Schulterschluss mit Ärzten und Diabetologen. Und natürlich ist die EuroPerio9 2018 in Amsterdam ein äußerst spannendes und herauforderndes Projekt. Ich möchte gerne weiterhin Bindeglied zwischen den EFP-Ländern sein, aber auch zwischen Wissenschaft und Praxis – sowie ein Botschafter für Mundgesundheit in Richtung Bevölkerung und Politik.