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"Social Distancing" ist ein Privileg

Noch vor wenigen Monaten war Wuhan den meisten Deutschen völlig unbekannt. Das hat sich grundlegend geändert, denn die Millionenstadt in Zentralchina gilt als Ausgangspunkt für das neuartige Corona-Virus, das bereits viele tausend Menschen das Leben gekostet hat.

Mehr als zweieinhalb Monate war die Stadt komplett abgeriegelt. Verstörend wirkten die Bilder von geisterhaft leeren Straßen. Unvorstellbar, wenn man wie ich selbst erlebt hat, wie voll die Stadt mit über zehn Millionen Einwohnern normalerweise ist. Überall drangvolle Enge, auf den Straßen, in den Geschäften und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Mein Studienjahr in Wuhan liegt Jahrzehnte zurück, aber die meisten leben noch immer in teils extrem beengten Verhältnissen. Kaum vorstellbar, welche katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen Ausgangssperren und häusliche Isolation über mehrere Monate gehabt haben müssen.

Zweifel an den Zahlen aus China

Das lässt stark an den vergleichsweise niedrigen Zahlen von Infizierten und Toten zweifeln. Es sollte uns aber auch eines klarmachen: „Social Distancing“ ist nicht nur zurzeit oberste Bürgerpflicht, sondern vor allem ein Privileg. Insbesondere für diejenigen, die komfortabel wohnen, deren Kinder im eigenen Garten spielen können und deren größtes Problem bislang ist, dass ihre geplante Reise wegen Corona ausfällt oder dass sie nur drei Großpackungen Toilettenpapier hamstern konnten.

Abstand zu anderen wahren zu können ist ein Privileg, das derzeit unsere Gesellschaft mehr denn je in arm und reich spaltet. Und es ist ein Privileg, das unsere teils beklatschten, teils beschimpften „Helden“ des Alltags nicht haben. Nicht die Verkäuferin oder Kassiererin im Supermarkt, nicht die Pflegekräfte im Altenheim und schon gar nicht das medizinische Personal in Praxen und Kliniken.

Ein Privileg, dass das medizinische Personal nicht hat

Besonders gefährdet: Zahnärzte und ihr Fachpersonal. Durch die unvermeidbare Nähe zum Patienten und dem bei der Behandlung entstehenden
Aerosolnebel sind sie einem hohem Infektionsrisiko ausgesetzt. Patienten sagen ab oder müssen abgewiesen werden, weil dringend benötigte Schutzausrüstung fehlt. Und nun wurden ausgerechnet die Zahnärzte vom Rettungsschirm der Bundesregierung ausgeschlossen. „Alle, die im Gesundheitswesen arbeiten, brauchen gerade jetzt unsere volle Unterstützung. Deswegen kompensieren wir Einnahmeausfälle, bauen Bürokratie ab und setzen Sanktionen aus“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vollmundig über das flugs verabschiedete „Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz“, das die wirtschaftlichen Folgen für Krankenhäuser und Vertragsärzte auffangen soll – nur eben nicht für Zahnärzte.

Der Skandal nur noch ein Skandälchen

Ein Skandal, finden diese. Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und Bundeszahnärztekammer haben bereits Nachbesserung gefordert. Das Bundesgesundheitsministerium habe verkündet, zu prüfen, ob auch Zahnärzte mit Ausgleichszahlungen vor finanziellen Ausfällen geschützt werden. Eine Entscheidung steht noch aus.

Oder besser gesagt: stand bei Drucklegung der dzw vor Ostern noch aus. Die Politik hat uns da über die Feiertage mal eben flott überholt. Der Gesundheitsminister hat zugesagt für Zahnärzte den Rettungsschirm zu vergrößern. Leider nicht besonders weit, denn die Einnahmenausfälle für Zahnärzte werder höher sein, als die anderer Ärzte, es bleibt eine große Ungleichheit. Der Skandal also nur noch ein Skandälchen, aber die Diskussion ist damit noch nicht beendet!