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Kein Markt, nirgends
Das TI-Kostenübernahmepaket wurde am grünen Tisch geschnürt.

Das TI-Kostenübernahmepaket wurde am grünen Tisch geschnürt.

Der Mai ist gekommen. Das sommerliche dritte Quartal des Jahres kündigt sich bereits am Horizont an. Körbeweise schmückt Spargel die Marktplätze. Alles könnte so schön sein. Ist es natürlich auch, wenn da nicht ein TI-Wermutstropfen den Markt verdürbe.

Werfen wir einen Blick zurück. Einstmals kamen die Vertreter der Leistungserbringer und die Vertreter der Kostenträger zusammen und schnürten ein TI-Kostenübernahmepaket. Sie folgten damit den gesetzlichen Vorgaben. So heißt es in Paragraf 291a SGB V: „Die in Satz 1 genannten Spitzenorganisationen (Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Bundesärztekammer, die Bundeszahnärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie die maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker) treffen eine Vereinbarung zur Finanzierung der erforderlichen erstmaligen Ausstattungskosten, die den Leistungserbringern in der Festlegungs-, Erprobungs- und Einführungsphase der Telematikinfrastruktur (…) entstehen.“ Verhandlungsergebnis war ein gestaffeltes Pauschalsystem, das durch höhere Anfangspauschalen Anreize zum frühen Praxisanschluss setzen wollte. Die letzten beiden Quartale 2018 sind aber nur noch mit 1.155 Euro pauschaliert, hier wurde ein „Preisverfall“ einkalkuliert. Der „Markt“ – so die verhandelnden Parteien – würde es schon richten und der Betrag zur kostendeckende Refinanzierung ausreichen. Falsch gedacht. Klar, alle machen Fehler, aber dieser war absehbar.

Am grünen Tisch gedeckt?

„Knausernde Kassen“, alliterierte der Hartmannbund. „Der GKV-Spitzenverband ist derzeit nicht bereit, ab Juli eine kostendeckende Finanzierungspauschale zu garantieren“, sagte Vize-KBV-Chef Dr. Stephan Hofmeister am 26. April 2018 in den „KBV Praxisnachrichten“.

Man könnte fragen, wer hat denn die „Vereinbarung zur Finanzierung und Erstattung“ mit dem GKV-SV ausgehandelt?

Gerne wird die Schuld dann in Richtung Industrie verschoben, die nicht liefere. „Der fehlende Wettbewerb bei den Konnektoren-Anbietern hat nun zu einer Preislage geführt, die Nachverhandlungen über die Pauschalen erforderlich macht“, so Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZVB, in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“. Auch hier stellt sich eine Frage: Welches Unternehmen möchte denn kein Geld verdienen?

Der „fehlende Wettbewerb“ hat einige gute Gründe. Der erste heißt Gematik. Die Anforderungsprofile für eine sichere Telematikinfrastruktur sind zu Recht hoch. Da überlegen Unternehmen mindestens zweimal, ob sich die Investition in einen auch zeitlich klar umgrenzten Markt lohnt. Zweitens sind die Zulassungsverfahren bestenfalls zäh. Das mag gute Gründe haben. Drittens gibt es Hürden, die vielleicht nicht hätten sein müssen. Ein Beispiel: die sichere Lieferkette. Statt auf sichere Standards zugreifen zu können, müssen sie eigens definiert und zugelassen werden.

Dass nur wenige Anbieter überhaupt eine so anspruchsvolle Technologie entwickeln werden, war ebenso absehbar. Wettbewerb kann entstehen, wenn der Kunde sich frei zwischen Produkten und Anbietern entscheiden kann. Das kann er bei den TI-Komponenten theoretisch auch. Aber praktisch? Hat sich in einer Praxis ein Praxisverwaltungssystem (PVS) etabliert, tut man gut daran, doch erst einmal zu schauen, welche Lösung der PVS-Anbieter liefert. Die wird dann vermutlich in den allermeisten Fällen auch angenommen. Denn auch die PVS-Anbieter haben wenig bis kein Interesse daran, ihre Schnittstellen für Fremdhardware zu optimieren.

Wo und wie soll in diesem Biotop also Markt entstehen? Auch wenn drei weitere Konnektoren laut Heise online für Mai, Juni, Juli zugelassen werden, einen Preisverfall wird es vermutlich nicht geben.

Gematik gescheitert?

In einer noch unbeantworteten Kleinen Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion zum „digitalen Informationsaustausch im deutschen Gesundheitswesen“ wird auch die Legitimation der Gematik hinterfragt: „Hält die Bundesregierung die Entwicklung und Implementierung von Standards im deutschen Gesundheitswesen durch die Gematik für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und, wenn ja, warum wird dies nicht aus Steuermitteln, sondern ausschließlich aus Beiträgen der gesetzlich Versicherten finanziert?“ Und weiter: „Hält die Bundesregierung daran fest, Regulierungsaufgaben (…) im deutschen Gesundheitswesen einer Einrichtung der Selbstverwaltung zu übertragen, statt (sie) über eine staatliche Institution zu organisieren?“ Diese Fragen scheinen berechtigt. Die Spitzenverbände der Selbstverwaltung haben die Gematik bereits im Januar 2005 gegründet, fünf Gesundheitsminister später ist ein einziger Konnektor zugelassen.

Rechte Begeisterung wollte bei dem Projekt ohnehin nie aufkommen, was die Marktentwicklung ebenfalls gebremst haben dürfte. Bereits 2010 freute sich Dr. med. Axel Brunngraber, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft Niedersachsen, auf dem Deutschen Ärztetag: „Wir haben in den vergangenen Jahren wichtige Bollwerke geschaffen und das Projekt auf Jahre hin gestoppt, und das werden wir auch weiter durchhalten.“ Am 7. Mai 2018 bilanziert Jens Spahn in einem „FAZ“-Interview, dass nach 14 Jahren elektronischer Gesundheitskarte noch keine positiven Effekte für die Patienten erkennbar seien. Da hat nicht nur der Markt versagt.