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Organisation der „Aufsuchenden Betreuung“ in Alten- und Pflegeheimen
Dr. Nadine Strafela-Bastendorf und Dr. Klaus-Dieter Bastendorf behandeln rund 400 Patienten in neun Alten- und Pflegeheimen.

Dr. Nadine Strafela-Bastendorf und Dr. Klaus-Dieter Bastendorf behandeln rund 400 Patienten in neun Alten- und Pflegeheimen.

Nach diversen Fortbildungen zum Thema Alterszahnheilkunde haben wir 2011 gemeinsam bei der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg eine zertifizierte Fortbildung zum Thema Alterszahnheilkunde erfolgreich absolviert und unser Wissen durch weitere Fortbildungen zum Thema Alterszahnheilkunde laufend aktualisiert.

Teil 1 des Erfahrungsberichts finden Sie hier

Organisation mit den Alten- und Pflegeheimen

Wir betreuen heute rund 400 Patienten in neun Alten- und Pflegeheimen im Kreis Göppingen. Dazu kommen noch etwa 20 Patienten mit häuslicher Betreuung. Die Organisation neben dem regulären Praxisbetrieb ist eine wichtige Teilaufgabe des Gesamtkonzepts. Die Vielzahl von rechtlichen Fragen, verbunden mit Rechtsunsicherheit und die damit verbundene Anzahl an Formularen, stellten vor allem beim Start unserer Tätigkeit eine große Herausforderung dar.

Zuerst musste in Zusammenarbeit mit den Heimleitungen der Ablauf der zahnärztlichen

Versorgung auch hinsichtlich der aktuellen Rechtssituation neu geregelt werden:

• Alle neuen Bewohner und deren Angehörige werden mit dem Einzug ins Heim (der Heim-Aufnahmebogen wurde neu gestaltet und um die Möglichkeit der zahnärztlichen Versorgung erweitert) über die Möglichkeiten der zahnärztlichen Versorgung informiert. Den bisherigen Bewohnern aller Heime wird eine entsprechend neu gestaltete Ergänzung vorgelegt. Danach können die Heimbewohner oder die Verfügungsberechtigten entscheiden:

• Ob sie weiter vom Hauszahnarzt behandelt werden wollen.

• Ob ein Zahnarztwechsel zur Kooperationspraxis Dr. Strafela-Bastendorf gewünscht wird.

• Das Heim erstellt eine Liste der Patienten, die sich für unsere Praxis entschieden haben. Diese Liste wird regelmäßig aktualisiert.

• Zu Behandlungsbeginn wird uns von der Pflegeheimleitung das „Notfallblatt“ (Überleitungsbogen) ausgedruckt. Dieses enthält bereits alle relevanten persönlichen, medizinischen Daten und entsprechende Rechtsabsicherungen für unsere Tätigkeit. Diese Daten werden in das Patientenstammblatt übertragen.

• Für uns relevante Veränderungen dieser Daten vor allem bei Diagnosen, Therapie und Medikamenten werden uns automatisch mitgeteilt.

Organisation in der Praxis

Für unsere eigentliche zahnmedizinische Tätigkeit in Alten- und Pflegeheimen waren neue Organisationstrukturen und Hilfsmittel notwendig, die auch in unser Qualitätsmanagement- System aufgenommen wurden.

• Zuerst gestalteten wir unseren Anamnesebogen für Erwachsene entsprechend den eigenen Verwaltungsbedürfnissen in den „Anamnese- und Befunderhebungs-Bogen Senioren“ um.

• Unsere Praxis-Verwaltungsmitarbeiterin nimmt die Anrufe des Pflegeheims entgegen. Sie klärt auch weitere Fragen im Vorfeld ab.

• Sie bereitet das Blatt vor, das nach der Behandlung den Alten- und Pflegeheimmitarbeitern zur Dokumentation dient.

 

Formulare wurden den Bedürfnissen und Anforderungen der zahnmedizinischen Tätigkeit in Alten- und Pflegeheimen angepasst.

Formulare wurden den Bedürfnissen und Anforderungen der zahnmedizinischen Tätigkeit in Alten- und Pflegeheimen angepasst.

Unser Konzept der „Aufsuchenden Betreuung“

Unser Konzept besteht aus der restaurativen und der präventiven Betreuung.

1. Die einfachere Aufgabe unseres Konzepts ist die aufsuchende restaurative Betreuung. Wir führen im Pflegeheim nur Behandlungen stationär durch, die ohne Risiko für den Patienten und den Behandler möglich sind. Alle weitergehenden Behandlungen werden in der Praxis durchgeführt. Diese Vorgehensweise stellt auch die Grundlage unserer zahnärztlichen mobilen Ausstattung dar. Die meisten einfachen Behandlungen betreffen zahnärztliche Maßnahmen an Zähnen, Schleimhäuten und Prothesen. Seit ca. vier Jahren haben wir einen Rollkoffer für unsere Zwecke individuell umgestaltet. Der dreigeteilte Koffer hat eine Dauerbestückung mit Hilfsmitteln und Geräten, die immer gebraucht werden, und eine Alternativbestückung je nach Behandlungsfall. Unsere Praxis-Verwaltungsmitarbeiterin nimmt die Anrufe des Pflegeheims entgegen und macht die Besuchstermine aus. Entsprechend der Vorabfrage wird der Rollkoffer individuell zusammengestellt. Mit unserer aufsuchenden restaurativen Tätigkeit gelingt es uns in mehr als 90 Prozent aller Fälle, einen aufwendigen Transport in die Praxis zu vermeiden.

2. Viel schwieriger gestaltet sich die präventive Betreuung. Die Neuregelung durch den Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat den vorbeugenden Leistungen von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen einen großen Stellenwert eingeräumt [1]. Die wichtigsten neuen Leistungen sind:

• Erhebung eines Mundgesundheitsstatus

• Erstellung eines individuellen Mundgesundheitsplans

• Aufklärung über Mundgesundheit

• Entfernung harter Zahnbeläge

 

Im Einsatz: Ein Rollkoffer, der individuell umgestaltet wurde. Er hat eine Dauerbestückung mit Hilfsmitteln und Geräten, die immer gebraucht werden.

Im Einsatz: Ein Rollkoffer, der individuell umgestaltet wurde. Er hat eine Dauerbestückung mit Hilfsmitteln und Geräten, die immer gebraucht werden.

Unser gut geplantes und strukturiert durchgeführtes Prophylaxe-Konzept, das die Elemente der G-BA-Neuregelung bereits vor der Neuregelung beinhaltete, enthält folgende Elemente:

• Die generelle Schulung der Pflegekräfte beginnt mit zwei Grundseminaren zu den Themen „Allgemeine Zahnerkrankungen“, „Zahnerkrankungen im Alter“ und „Altersgerechte häusliche und professionelle Prävention“. Diese Seminare enthalten auch praktische Übungen am Modell. Ein von der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg zur Verfügung gestellter Koffer ist dabei eine große Hilfe. Diesen Grundseminaren folgen jährliche „Update-Seminare“. Die Seminare sind für die Pflegebereichsmitarbeiter verbindlich.

• Es ist uns immer wieder aufgefallen, dass Pflegekräfte Mundhygienehilfsmittel bei den Heimbewohnern falsch anwenden. Seither bieten wir Schulungen in kleinen Gruppen an, bei denen die Pflegekräfte gegenseitig Mundhygienehilfsmittel und deren richtige Anwendung unter unserer Anweisung und Hilfestellung üben.

• Zusätzlich werden individuelle prophylaktische Schulungen an den von uns betreuten Heimbewohnern mit den Pflegekräften zusammen durchgeführt. Zuerst wird ein Mundgesundheitsstatus erhoben, dann eine Aufklärung über die Bedeutung der Mundhygiene durchgeführt. Danach erfolgt die Erstellung eines Plans zur individuellen Mund- und Prothesenpflege sowie die Entfernung von Zahnstein. Dieser individuelle Pflegeplan wird mit den Pflegekräften und den Heimbewohnern besprochen und geübt. Wir unterscheiden dabei drei Patientengruppen in Anlehnung an die „Zahnpflege-Ampel“ der AKA-BeBW. Die grüne Ampel steht für Patienten, die die häusliche Mundhygiene weitgehend alleine durchführen können. Die gelbe Ampel ist für Patienten mit reduzierten Mundhygienefähigkeiten, die Unterstützung durch das Pflegepersonal benötigen. Die rote Ampel bedeutet, dass die Patienten zur selbstständigen Mundhygiene nicht mehr in der Lage sind.

• Die von uns durchgeführte individuelle Mundhygieneaufklärung und Mundhygieneinstruktion, der das Motto „so einfach wie möglich“ zugrunde liegt, umfasst die Hilfsmittel und Technik der Zahn-, Mund- und Prothesenreinigung. Die individuelle „Mundhygieneampel“ wird entsprechend ausgefüllt, foliert und am Badezimmerspiegel des jeweiligen Bewohners befestigt.

• Wir haben in unserer Praxis für die Beratung der Patienten ein „duales System“. Das heißt, dass neben der mündlichen Beratung dem Patienten schriftlich Hilfsmittel zum Gesagten mitgegeben werden. Diese bewährte Vorgehensweise wenden wir auch im Alten- und Pflegeheim an. Zusätzlich zu den mündlich durchgeführten Anweisungen und Empfehlungen werden den Heimbewohnern und dem Pflegepersonal auch schriftliche Hilfsmittel zur Verfügung gestellt.

• Für die professionelle Prophylaxe stehen uns Handinstrumente, ein EMS-Piezon-Minimaster und ein Midwest RHD Freedom akkubetriebenes Polierhandstück zur Verfügung.

Kenntnisse in der Mundhygiene

Wie auch in der Literatur beschrieben, verfügen die Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen kaum über Kenntnisse in der Zahnhygiene. Dennoch ist das Pflegepersonal an einer Ausbildung in der betreuenden häuslichen Mundhygiene interessiert. Mehrere Studien haben gezeigt, dass eine zielgerichtete Schulung des Personals, die Kenntnisse vertieft und in der Folge die Mund- und Zahnhygiene von Patienten in Alters- und Pflegeheimen verbessert [16, 17]. Wir haben in einem von uns betreuten Pflegeheim (Kursana, Donzdorf) eine entsprechende Befragung durchgeführt. Die erste Befragung wurde vor dem Beginn unserer Tätigkeit im Alters- und Pflegeheim unmittelbar vor der ersten Fortbildung durchgeführt. Die Wiederholungsbefragung wurde ein Jahr später vor dem „Fortbildungs-Update“ durchgeführt. Als Fragebogen diente ein modifizierter Fragebogen der Universität Kiel [16]. Die Auswertung wurde ebenfalls von der Universität Kiel durchgeführt.

Die Ergebnisse lauten: „Es zeigt sich insgesamt ein sehr viel besseres Bild als von uns (Uni Kiel) erwartet, denn bereits vor der Fortbildung wurden die Fragen vielfach besser beantwortet als bei uns (Kiel) und definitiv auch gegenüber den Schweizer Pflegeheimen [17]. Insgesamt haben die Teilnehmer der Fortbildung einen höheren Punktwert im Rahmen des 2. Tests erreicht. Die guten Werte, die bereits beim Start vorlagen, wurden durch die Fortbildung nochmals verbessert. Dies spricht für das Niveau der von Ihnen besuchten Heime. Das Wissen um Karies, Parodontitis und Zahnverlust konnte durch zahnärztliche Fortbildungen in dieser Gruppe noch verbessert werden. Beim Wissen um Pflege und Betreuung der Patienten in der Mundhygiene wurde der hohe Level nochmals verbessert.“

Fazit

Die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Prophylaxe in Alten- und Pflegeheimen ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für alle Zahnärzte und deren Organisationen. Die Zahnärzte müssen sich verändernden Herausforderungen durch den demografischen Wandel stellen und Strukturen zur kompetenten zahnärztlichen Betreuung Pflegebedürftiger entwickeln. Wir haben uns dieser Herausforderung gestellt. Mithilfe der Pflegeheimleitung ist es uns gelungen, die Verwaltung stark zu vereinfachen und dennoch alle rechtlichen Bedingungen zu beachten. Auch im Bereich der aufsuchenden restaurativ zahnärztlichen Behandlung ist es uns gelungen, eine einfache, gut funktionierende Struktur und Behandlung zu erreichen. So ist es uns heute möglich, die meisten der von uns im Pflegeheim betreuten Patienten stationär, palliativ und den Bedürfnissen der Heimbewohner angepasst zu behandeln.

Dennoch gibt es auch nach sechs Jahren noch ein großes Verbesserungspotenzial, vor allem in der prophylaktischen Betreuung. Obwohl die Mitarbeiter der von uns betreuten Alten- und Pflegeheime ein gutes Niveau beim Wissen um Pflege und Betreuung der Patienten in der Mundhygiene erreicht haben, ist uns die Umsetzung des Wissens in den Pflegealltag noch nicht gelungen. Wir können keine Erfolge nachweisen, wie sie Benz und Haffner [18] mit ihrem „dualen Konzept“ zeigten: „Bei 76 Prozent der Studienteilnehmer konnte eine signifikant verbesserte Mundhygiene, 65 Prozent weniger Schmerzen im Mundbereich und eine Senkung der Extraktionen um 70 Prozent festgestellt werden“.

Die größten Schwierigkeiten sehen wir bei der Umsetzung unseres Praxis-Prophylaxe-Konzeptes, das von der häuslichen Mundhygiene-Mitarbeit und dem regelmäßigen professionellen Recall geprägt ist. Wir sind sicher, dass unser im Praxisalltag bewährtes Prophylaxe-Konzept für Alten- und Pflegeheime untauglich ist, da essenzielle Bestandteile unseres Prophylaxe-Systems dort nur bedingt umsetzbar sind.

Für die Prophylaxe in Alten- und Pflegeheimen gibt es im Augenblick unseres Erachtens nur wenige gut funktionierende Lösungsansätze. Soll Prophylaxe auch dort erfolgreich sein, müssen uns in Zukunft Methoden und Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die nicht von der Compliance und den Fähigkeiten der Patienten und Pflegekräfte abhängen. Die neue Generation an Hilfsmitteln muss einfach, wirksam, patientenunabhängig und für Pflegekräfte leicht erlernbar und anwendbar sein. Erste Ansätze in diese Richtung könnte eine vollautomatische „Zahnbürste“ sein, die in 10 Sekunden die Zähne reinigen soll und demnächst auf den Markt kommt. Ein weiterer Schritt wären antiinfektiöse, antimikrobielle und antikariogene Spüllösungen, die dauerhaft angewendet werden können. Ultraschallgeräte zur häuslichen Prothesenreinigung setzen wir bereits ein.

Auch das mobile professionelle Biofilmmanagement muss deutlich verbessert werden. Können Patienten nicht mehr zu uns kommen, dann müssen wir Möglichkeiten schaffen, die Patienten prophylaktisch aufsuchend zu betreuen. In der Schweiz (Chur) läuft gerade ein Modell, bei dem eine Dentalhygienikerin dauerhaft in einem Alten- und Pflegeheim angestellt ist. Sie ist für die gesamte Mundhygienebetreuung der Patienten verantwortlich.

Unser persönliches Fazit lautet: Trotz der Rückschläge in der Prophylaxe gehen wir einer wunderbaren Aufgabe nach, die wir gerne machen. Unsere Empfehlung für die Kollegen, die sich in diesem Bereich engagieren wollen: „Fangen Sie an, Sie werden überrascht sein, wie man mit wenig Ausstattung viel helfen kann und noch mehr Dankbarkeit erfährt!“