Anzeige
Jetzt wird’s höchste Zeit
Paragraf 22a: Die bloße Fokussierung auf die mehr als 900.000 Heimbewohner ist falsch: Doppelt so viele Pflegebedürftige werden zuhause gepflegt oder durch mobile Pflegedienste versorgt.

Paragraf 22a: Die bloße Fokussierung auf die mehr als 900.000 Heimbewohner ist falsch: Doppelt so viele Pflegebedürftige werden zuhause gepflegt oder durch mobile Pflegedienste versorgt.

Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen haben ab 1. Juli einen gesetzlichen Anspruch auf zahnärztliche Prävention, um Mund- und Zahnerkrankungen zu verhindern und eine sachgerechte Prothesenpflege vorzunehmen. Für Zahnärzte bzw. deren Berufsvertretungen bleiben also noch rund 80 Tage um zu überlegen, wie die Anforderungen aus dem Rechtsanspruch nach Paragraf 22a SGB V praktisch umgesetzt werden sollen.

Nicht erst seit gestern, sondern seit drei Jahren ist der Inhalt des Paragrafen 22a Punkt für Punkt bekannt. Das hat mich damals schon zu dem Vorschlag veranlasst, mit der Schulung der Pflegekräfte zu beginnen. Denn ohne deren Mithilfe halte ich eine nachhaltige Prävention für nicht durchführbar.
Konkrete Vorschläge der „Initiative Handicap“ wurden von der BZÄK mit der Begründung abgelehnt „... diese Initiativen sind bereits ergriffen und wurden durch gesetzliche Vorgaben bereits mit einbezogen. Zahlreiche Kammern setzen seit Jahren die Schulung der Pflegekräfte um.“ Fragt sich nur wo und in welchem Umfang?

Die Antwort offenbarte eine völlige Fehleinschätzung – oder kamen meine Vorschläge einfach nur „aus der falschen Ecke?“ Warum KZBV und BZÄK die personellen Probleme nicht frühzeitig erkannt haben, die zur Erfüllung des Anspruchs auf Prävention der rund drei Millionen Pflegebedürftigen notwendig sind, bleibt ein Rätsel.

Jetzt läuft ihnen die Zeit davon. Und eine bloße Fokussierung auf die mehr als 900.000 Heimbewohner wäre falsch: Doppelt so viele Pflegebedürftige werden zuhause gepflegt und durch mobile Pflegedienste versorgt.

Grundsätzlich sind präventive Maßnahmen – wie bei Kindern und Pflegebedürftigen – nur dann wirksam, wenn sie regelmäßig ausgeübt, täglich unterstützt und kontrolliert werden. Das können Zahnärzte alleine nicht bewältigen, daher sind den Pflegekräften nicht nur die tägliche Motivation und Kontrolle zur Mund-, Zahn- und Prothesenpflege einvernehmlich zu übertragen, sondern für immobile Menschen auch die notwendige Pflege direkt zu übernehmen. Das erfordert ein bestimmtes Grundwissen, was ihnen etwa von unseren Zahnmedizinischen Fachassistentinnen, den Prophylaxeassistentinnen und Dentalhygienikerinnen vermittelt werden könnte.

Der Bundesverband der privaten Anbieter sozialer Dienste (bpa) wies übrigens darauf hin, dass sich die Richtlinie nach Paragraf 22a nur an die Zahnärzte richte, die dafür eine Vergütung erhielten, und nicht an Pflegekräfte. Dem füge ich hinzu, dass wir Zahnmediziner auch keine Weisungsbefugnisse gegenüber dem Pflegepersonal haben!

Bereits im Februar 2015 wurde in der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zum Paragrafen 22a festgestellt, dass es bei Pflegenden und Unterstützungspersonen einschließlich der Angehörigen Wissens- und Fertigkeitsdefizite im Bereich Mundgesundheit gibt. 

Eine verbesserte Aus- und Fortbildung der Pflegepersonen und die Schulung der Angehörigen wurde gefordert. Es sei eine „gesamtgesellschaftliche“ Aufgabe, der bis heute nur punktuell nachgekommen werde. Und was hat der Berufsstand in den vergangenen Jahren hier vorbereitet? So gut wie gar nichts!
Leider trifft das auch auf das von der BZÄK und DGAZ (Deutsche Gesellschaft für Altersmedizin) gut strukturierte Konzept zur Ausbildung und Schulung von Pflegekräften zu. Es kam bislang nicht zum Zuge.

Seitdem sind weder von der DGAZ, der AG Zahnmedizin für Menschen mit Behinderung und auch nicht von der BZÄK oder der KZBV Lösungsvorschläge zur Bewältigung der Mammutaufgabe „Präventions-Anspruch für Pflegebedürftige“ entwickelt oder gar umgesetzt worden.

Sollen es nun die jeweiligen Landeszahnärztekammern oder KZVen unkoordiniert und jede für sich „richten“? Und sind konstruktive Vorschläge von erfahrenen Zahnärzten überhaupt gewünscht? Ich hoffe auf Reaktionen.

Es ist höchste Zeit zu handeln.

Prof. Dr. Rolf Hinz, Herne