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Interview: „Manche glauben immer noch, dass wir nur Löcher bohren“

Oralmedizin kompakt – Interview: Prof. Dr. Roland Frankenberger zum Kongress Orale Medizin und zum Verhältnis unseres Fachgebiets zur übrigen Medizin

Am 10. und 11. November 2023 findet in Frankfurt am Main der Kongress für Orale Medizin (KOM) statt. In guter Tradition des Europäischen Forums werden in der Frankfurter Messe interdisziplinäre Themen beleuchtet – zum Beispiel Allgemeinerkrankungen und Polypharmazie, Wechselwirkungen von Mikrobiom und Immunsystem, Ernährungsaspekte und die Rolle von Tech-Giganten im Gesundheitswesen. Daneben gibt es eine Reihe fachspezifischer Vorträge von renommierten Experten. Im Interview beschreibt der wissenschaftliche Leiter Prof. Dr. Roland Frankenberger die Idee hinter dem Kongress. Und er begründet, warum für ihn die neue Approbationsordnung ein richtiger Schritt zur Annäherung von oraler und „Humanmedizin“ ist.

Portrait eines Mannes
Prof. Dr. Roland Frankenberger ist wissenschaftlicher Leiter des Kongresses für Orale Medizin.

 

Herr Professor Frankenberger, wie kam die Initiative zustande, mit dem Kongress Orale Medizin (KOM) ein neues Kongress­format ins Leben zu rufen?

Prof. Dr. Roland Frankenberger: Während meiner Zeit als DGZMK-Präsident trennten sich die Wege unserer wissenschaftlichen Fachgesellschaft, der Landeszahnärztekammer Hessen (LZKH) und des Quintessenz-Verlags (QV). Das war ein einvernehmlicher Vorgang, da durch die Verwerfungen der Pandemie, nicht zuletzt im Sponsorenbereich, ein Deutscher Zahnärztetag in Präsenz von den wirtschaftlich Verantwortlichen als nicht mehr darstellbar eingeschätzt wurde. Die LZKH hat immer betont, dass für diesen Fall das traditionelle „Europäische Forum“, also ein hessischer Zahnärztetag, wiederbelebt werden sollte.

Nachdem wir in der Kooperation mit der Quintessenz – ich erinnere zum Beispiel an unser Schwerpunktheft „Orale Immunkompetenz“ aus dem Dezember 2020 – den Gedanken der Oralen Medizin immer wieder aufgegriffen hatten, einigten sich QV und LZKH, ein innovatives neues Kongressformat „KOM23“ ins Leben zu rufen, das genau dort wieder anknüpfen soll. Als hessischer Hochschullehrer und aufgrund der Vorgeschichte wurde ich gefragt, ob ich die wissenschaftliche Leitung übernehmen würde, und ich habe sehr gerne zugesagt.

Bei Kongressen, die auf Zusammenhänge zwischen oralen und übrigen humanmedizinischen Inhalten zielen, stammt die überwiegende Mehrheit der Referenten aus dem eigenen Fach. Ist es schwierig, Kollegen aus anderen medizinischen Gebieten zu gewinnen?

Frankenberger: Es gibt nach meiner Erfahrung zwei Arten von Medizinern. Die einen haben „null Ahnung“ von Zahnmedizin, weil sie im Studium auch nie etwas darüber erfahren haben. Und weil ihnen dort unterschwellig vermittelt wurde, dass sie auch nicht wichtig ist. Diese Kollegen glauben immer noch, dass wir nur Löcher bohren und an Zähnen herumkratzen. Das sind nicht die richtigen Gesprächspartner für interdisziplinären Austausch. Und dann gibt es Kollegen wie den Diabetologen Andreas Pfützner, der in Frankfurt den Keynote-Vortrag zum Thema Mundhöhle als erste Verteidigungslinie des Immun­systems halten wird.

„Der Diabetologe Pfützner schickt alle Patienten zum Zahnarzt“

 

Herr Pfützner schickt alle Patienten erst einmal zum Zahnarzt: „Ohne gesunden Mund brauchen wir gar nicht anfangen mit der Therapie.“ Das sind unsere Partner der Zukunft. Jeder vernünftige Präventionsmediziner sagt öffentlich, dass er ohne Zahnmedizin nie erfolgreich sein kann. Und genau solche Kollegen haben wir eingeladen. Schwer zu kriegen sind alle Top-Referenten, da sprechen wir von einem Vorlauf von ein bis zwei Jahren, egal ob Zahnmediziner oder Mediziner. Natürlich sind wir als Verantwortliche davon überzeugt, dass sich der Besuch von KOM23 für Kolleginnen, Kollegen und ZFAs lohnen wird. Geboten wird ein guter Mix aus oralmedizinischer Expertise und interprofessioneller Perspektive.

Wünschen Sie sich eine vollständige ausbildungsbezogene Integration der oralen in die übrige Medizin? Und sehen Sie in dem Fall Perspektiven, dass die auf europäischer Ebene festgeschriebene Trennung wieder rückgängig gemacht wird?

Frankenberger: Ich war 2020 beim MFT Leiter der Task Force „Zukunft des Zahnmedizinstudiums“, die auch ein Positions­papier zu diesem Thema verfasst hat. Aufgrund der im Vorfeld identifizierten Probleme mit der neuen Approbationsordnung und meiner einschlägigen Erfahrungen als „minderwertiger“ Zahnmediziner in drei Fakultäten war ich damals ehrlicherweise so weit, dass ich in dieser Task Force ernsthaft das „hohe Y“ ins Spiel gebracht habe. Das ist das ehemalige „Modell Austria“, bei dem Zahnärzte nach dem Medizinstudium noch einen Facharzt für Zahnmedizin absolvieren mussten. Ich musste mir jedoch von Juristen erklären lassen, dass so ein Ansinnen gegen EU-Richtlinien verstößt [1, 2].

Daraufhin ist die Idee schnell wieder in der Schublade verschwunden, und ich denke, das ist auch besser so. Auch der früher präferierte „Common Trunk“ – also eine gemeinsame Ausbildung aller Mediziner bis zum Physikum/Z1 – ist Makulatur, weil er nicht mehr zum reformierten ersten Studienabschnitt der „Humanmediziner“ (früher Vorklinik) passt. Genau diese Gedanken, verknüpft mit unseren pragmatischen Forderungen, stehen im Impulspapier „Zahnmedizin 2030“, das ich mit dem Vorstand der DGZMK verfasst habe [3].

Ein leidenschaftlicher Einsatz für eine Neudefinition unseres Fachs muss auch nicht bedeuten, alles infrage und auf den Kopf zu stellen. Ich glaube, dass wir gut daran tun, ein von der Medizin in weiten Teilen getrenntes Studium anzubieten. Wir bilden immer noch Zahnärzte aus. Ich plädiere deshalb eingehend dafür, die gerade erst angelaufene zahnärztliche Approbationsordnung (ZApprO) jetzt mal auszugestalten und dann nach mehreren Jahren zu schauen, was dabei herauskam. Sollten die Verantwortlichen bei einer Reevaluation das „Modell Austria“ dann doch noch ernsthaft erörtern wollen, muss zunächst einmal genau berechnet werden, welche Konsequenzen für die zahnärztliche Versorgung in unserem Land daraus resultieren würden. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass es allein schon deshalb nicht funktionieren kann.

Es geht mir vielmehr um das Grundverständnis: Solange es einen Studiengang Humanmedizin und einen Studiengang Zahnmedizin gibt, behandeln per definitionem die Mediziner Menschen und wir nur Zähne. Und das darf einfach nicht mehr sein, da wird die Zahnärztin und der Zahnarzt schon am Start als „Löchli-Bohrer“ verunglimpft, wie man in der Schweiz so schön sagt. Daher muss das Studium der Zukunft eben noch näher an die Medizin herangeführt werden. In der neuen ZApprO ist eine horizontalen Vernetzung von Ausbildungsinhalten mit der übrigen Medizin festgelegt. Ob dieser Weg zum Ziel führt, werden wir sehen.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die aktuelle Situation in der oralmedizinischen Forschung und Lehre?

Frankenberger: Beginnen wir mit der Ausbildung: In den vergangenen acht Jahren kämpften wir uns in der Zahnmedizin der Universität Marburg mit 22 Prozent weniger Personal durch. Das liegt daran, dass alle „Low Performer“ (Institute und Kliniken mit relativ wenig Publikationen und Drittmittel in der Medizin und Zahnmedizin, Anm. der Redaktion) im Rahmen der leistungsorientierten Mittel- und Personalvergabe auf 78 Prozent des Stellenpools eingedampft wurden – selbstverständlich bei gleich ­hoher Studierendenzahl. Die finanziell schwach ausgestattete medizinische Fakultät bediente sich also einfach aus der Zahnmedizin – das hat eine lange Historie, die sich bis heute fortsetzt.

„Forschungsperspektiven sind nach Standort unglaublich heterogen“

 

Thema Wissenschaft: Alle wissen, dass hochrangige Forschung extrem teuer ist, doch vielen Universitäten steht dafür in unserem Fachbereich kaum Geld zur Verfügung. Zugleich ist die wissenschaftliche Perspektive der oralen Medizin standort­spezifisch unglaublich heterogen. Ich kenne mich in unserem Bereich recht gut aus, zum einen weil ich seit 2019 als Präsidiumsmitglied des Medizinischen Fakultätentages die Zahnmedizin verantworte.

Zum anderen, weil ich an einer der schlechter ausgestatteten und alimentierten Universitätszahnklinik in Deutschland arbeite. Meine Poliklinik verfügt zum Beispiel über nur 15 Prozent der Flächen, die mir laut HochschulplanungsVorgaben zustehen. Meine Mitarbeiter haben keine Büros und ziehen sich auf der Toilette um. Mein Forschungslabor ist ein Abstellraum unter dem Hörsaal. Ich muss an dieser Stelle immer wieder betonen: Mir persönlich geht es gut, mein Gehalt kann jeder in den Tabellen des Landes Hessen nachlesen. Ich kann meine Miete bezahlen und mein Auto tanken. Aber ich höre nicht auf zu betonen, dass die Rahmenbedingungen mancherorts einfach nicht passen. Auch die ausufernde Bürokratie ist ein Faktor, der es heute fast nicht mehr möglich macht, klinische Studien finanziert zu bekommen.

Und trotzdem kriegen wir es immer wieder hin: Gemessen am Input leisten wir Unmenschliches – unsere Arbeitsgruppe ist international bekannt und wurde 15.000-mal zitiert. Wenn dann aber aufgrund unserer Reputation Wissenschaftler aus dem Ausland kommen, sind sie peinlich berührt von unseren Forschungsbedingungen. Auf der anderen Seite gibt es in Deutschland Zahnkliniken mit modernster Ausstattung auf internationalem Top-Niveau. Diese befinden sich in der Regel in Bundesländern, die Geld haben oder Wert auf gute Universitäten legen. Es ist nicht verwunderlich, dass aussichtsreiche Bewerber bei den meisten Berufungsverfahren aus denselben, überdurchschnittlich alimentierten Universitätszahnkliniken kommen.

Wie kann es gelingen, der oralen Medizin den Stellenwert zu verschaffen, den sie für eine konsequent interdisziplinäre und damit patientengerechte Versorgung ­haben sollte?

Frankenberger: Ich war drei Jahre lang Studiendekan unserer medizinischen Fakultät und habe die Ausbildung von mehr als 3.000 Studierenden in Medizin, Zahnmedizin und Humanbiologie geleitet. Aus dieser Erfahrung kann ich sagen, dass wir uns als orale Mediziner chronisch unterschätzen. Es passiert in der übrigen Medizin noch viel öfter als in der oralen, dass Klinikärzte behaupten, Niedergelassene wüssten zu viele Dinge einfach nicht. Außerdem haben Fachärzte nicht selten wenig Achtung vor Allgemeinmedizinern.

Um der oralen Medizin einen angemessenen Stellenwert zu verschaffen, gibt es einfache Lösungen: Einerseits brauchen wir eine moderne, interdisziplinäre Ausbildung für junge Kolleginnen und Kollegen in allen Aspekten einer alternden, multimorbiden Gesellschaft. Andererseits – und noch viel wichtiger – müssen wir etwas gegen die sehr verbreitete arrogante Auffassung tun, dass unser Fachgebiet nicht wichtig und wissenswert sei. Und ich bin gern bereit, daran nach meinen Möglichkeiten mitzuwirken – unter anderem mit dem KOM-Kongress.

Auch in diesem Zusammenhang möchte ich auf meinen alten Merksatz zurückkommen: Es gibt nur eine Zahnmedizin. Wir werden die skizzierten Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen – Wissenschaft und Standespolitik Hand in Hand. Ich habe die trilaterale Kooperation von DGZMK, BZÄK und KZBV immer als sehr bereichernd empfunden.

Dr. Jan H. Koch, Freising

Literatur

[1] Europäische Union. Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Text von Bedeutung für den EWR): Document 02005L0036-20160524 2005.
[2] Europäische Union. Berichtigung der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung“) (ABl. L 354 vom 28.12.2013)
[3] Frankenberger R, et al. Zahnmedizin 2030. Dtsch Zahnärztl Z. 2020;75(6):Sonderdruck.

Titelbild:  Elnur - stock.adobe.com

Dr. Jan H. Koch

Dr. med. dent. Jan H. Koch ist approbierter Zahnarzt mit mehreren Jahren Berufserfahrung in Praxis und Hochschule. Seit dem Jahr 2000 ist er als freier Fachjournalist und Berater tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Falldarstellungen, Veranstaltungsberichte und Pressetexte, für Dentalindustrie, Medien und Verbände. Seit 2013 schreibt Dr. Koch als fester freier Mitarbeiter für die dzw und ihre Fachmagazine, unter anderem die Kolumne Oralmedizin kompakt.

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