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Periimplantitis: Überholte Mythen und neue Verfahren

Die 5. Geistlich-Konferenz in Baden-Baden am 7. März 2020 gehörte zu den wenigen Veranstaltungen, die dieser Tage nicht wegen einer möglichen Ansteckungsgefahr durch das neuartige Corona-Virus abgesagt worden waren. Veranstalter Geistlich Biomaterials hatte sich gegen eine Absage entschieden, das Gleiche galt für die Referenten. Auch von den angemeldeten Teilnehmern sagten nur einige wenige ab oder fuhren statt mit dem Zug lieber mit dem eigenen Auto nach Baden-Baden. 

Das Thema der 5. Geistlich-Konferenz war „Reparatur-Chirurgie, Periimplantitis: Vorbeugen – Behandeln– Reparieren“. Bei seiner Begrüßung wies Dr. Thomas Braun darauf hin, dass es zur Reparatur-Chirurgie noch wenig Literatur gäbe, jedoch einiges an Erfahrungswissen. Die Weiterentwicklung und Etablierung neuer Behandlungsstandards nannte der Vorsitzende der Konferenz Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden als Herausforderung zur erfolgreichen Versorgung der Patienten. Ziel der Konferenz sollte sein, ein wenig Pionierarbeit zu leisten und die Teilnehmer mit namhaften Referenten bei dieser Entwicklung zu begleiten.

Ein wenig Pionierarbeit leisten

„Ich hoffe, dass sich als Ergebnis der Konferenz ein Bewusstsein dafür bildet, dass Zweiteingriffe nach Implantatverlust einen erhöhten Schwierigkeitsgrad und schlechtere Erfolgsaussichten beinhalten als die Erstimplantation”, sagte Terheyden im Interview mit der dzw. Wegen der hohen Zahl der gesetzten Implantate stiege zwangsläufig auch bei kleinen Ausfallraten jährlich die Zahl der Patienten mit Zweitimplantationen.

Dass bei einer Periimplantitis das Implantat nicht zwangsläufig entfernt werden muss, zeigte der Vortrag von Dr. Florian Rathe, der das neue Verfahren Galvosurge vorstellte. Prof. Dr. Bilal Al-Nawas ging in seinem Vortrag darauf ein, dass zunächst einmal alles getan werden müsse, damit ein Implantat so lange wie möglich gesund bleibt und auch im Erkrankungsfall erhalten werden kann.

Über die Wichtigkeit des Weichgewebes und einen schonenden Umgang mit selbigem schon bei der Erstimplantation sprachen Prof. Dr. Michael Stimmelmayr aus Sicht der Praxis und Prof. Dr. Moritz Kebschull aus Sicht der Literatur. Dr. Dr. Markus Tröltzsch referierte über mögliche Ursachen für Implantat- und Augmentatverluste und wie man diese entweder vermeiden könne oder mit welchen Techniken eine erfolgreiche Rehabilitation bei nicht abwendbarem Implantatverlust realisierbar wäre.

Dr. Florian Rathe

Dr. Florian Rathe stellte das neue Verfahren Galvosurge vor, das im Sommer auf den Markt kommen soll und die Wiederkehr einer Periimplantitis verhindern soll.

Erfolgreiche Reosseointegration

Dr. Florian Rathe, M.Sc., Zahnarzt aus Forchheim, sprach in seinem Vortrag über Strategien zur erfolgreichen Reosseointegration nach Periimplantitis. „Der ein oder andere stolpert vielleicht über den Titel ,Strategien nach Periimplantitis‘, aber unsere Behandlung setzt tatsächlich erst ein, wenn die Entzündung schon abgeklungen ist“, stellte Dr. Rathe eingangs fest. Denn die Hoffnung, dass mit dem Entzündungsrückgang das Implantat dauerhaft gesichert ist, erfülle sich häufig nicht.

Die Ursache einer ungenügenden Reosseointegration läge meistens an der bakteriellen Besiedlung des Implantats. Es muss zwar nicht zu einer neuerlichen Entzündung kommen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Periimplantitis zurückkehrt, ist recht groß. Dr. Rathe erachtete es deshalb für den Implantaterhalt als wichtig, nicht nur den Biofilm zu entfernen, sondern auch eine bioaktive Oberfläche zu erhalten, damit das Implantat wieder vollständig vom Knochen umwachsen wird. Ein Vergleich der derzeitigen Verfahren habe allerdings gezeigt, dass diese Ziele weder von abrasiven Verfahren wie Air Flow noch von photodynamischen Verfahren erzielt werden. Für manche der getesteten Interventionen zeigte sich nach einem Jahr eine Rezidivrate von bis zu 100 Prozent.

Galvosurge als Game Changer

Als wesentlich erfolgversprechender hingegen schätzt Rathe das Verfahren der galvoelektrischen Reinigung ein, bei der das Implantat selbst den Biofilm abstößt, ähnlich wie es in der Calgon-Werbung im Fernsehen suggeriert würde. Das System, das von Holger Zipprich, Dr. Markus Schlee und Dr. Urs Brodbeck entwickelt wurde und im Sommer als Galvosurge auf den Markt kommen soll, beruht auf der Spaltung von Wasser In H+-Ionen und OH-Ionen. Bei einer negativ geladenen Implantatoberfläche stoßen die H+-Ionen durch den Biofilm, nehmen an der Implantatoberfläche ein Elektron auf und sprudeln dann mit den Verunreinigungen als Wasserstoffbläschen an die Oberfläche zurück. So kann das Implantat mechanisch gut gereinigt werden.

Wichtig ist hierbei nach Rathes Schilderungen der direkte Kontakt zum Implantat, denn nur dort wo die Spülung hinkommt, reinigt sie auch und entfaltet ihr Wirkung. Dafür muss nicht nur die Prothetik abgenommen, sondern auch ein Lappen geschaffen und das Granulationsgeweben entfernt werden. Die Spülung selbst besteht aus Natriumformiat, einem Salz der Ameisensäure. Bei der Wiederherstellung der bioaktiven Oberfläche macht sich Galvosurge zudem das Prinzip der Dekarbonisierung von Titan zu eigen, denn je weniger Kohlenstoff sich an der Titanoberfläche befindet, desto besser gelingt die Osseointegration.

Die Studie zur CE-Zulassung an 24 Probanden hat gezeigt, dass nicht die Reinigung der Implantatoberfläche das Nadelöhr für eine erfolgreiche Regeneration ist, sondern vielmehr die Frage der Augmentation. Laut Dr. Florian Rathe steht und fällt die Frage nach dem Erhalt damit, ob der Defekt augmentiert werden kann. Leider ist der Knochendefekt im Röntgenbild mitunter schwer zu erkennen. Die Entwickler von Galvosurge streben deshalb auch eine neue, leichtere Klassifizierung der Defekte (Entscheidungsampel) an. Diese reicht von RP1-Defekt mit einer 100-prozentigen Regeneration bis zum RP3-Defekt mit dem schlechtesten regenerativen Potenzial. Bei bedingt stützendem Effekt empfiehlt Rathe das Einfügen einer Schirmschraube, wie sie von Geistlich gerade mit 4 und 6 mm Durchmesser auf den Markt gebracht wurde.

Allerdings hilft das Verfahren der galvoelektrischen Reinigung auch bei fehlerhafter Implantatposition oder falschem Implantatdurchmesser nicht weiter. In diesem Fall ist eine Augmentation und damit eine Reosseointegration nicht möglich, und der Referent rät zur Reimplantation. Neben den effektspezifischen Faktoren hängt das Gelingen einer Reosseointegration auch vom Patienten ab. Parodontitis erhöht das Risiko für eine Periimplantitis, ebenso wie rauchen und Diabetes, auch dies müsse bei der Entscheidung für die Behandlungsstrategie berücksichtigt werden.

Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas

Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas, Direktor der Klinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Mainz, lieferte in seinem Vortrag einen breiten Überblick über die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implantation.

Was sagt die Wissenschaft?

Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas, Direktor der Klinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Mainz, lieferte in seinem Vortrag einen breiten Überblick über die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implantation. Zunächst ging er auf den vernachlässigten Zusammenhang zwischen Allgemeinerkrankungen und Implantatreparatur ein. Viele der erarbeiteten Konsensuspapiere seien in der Praxis nicht hilfreich, bemängelte der Forscher.  Allein die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin zum Diabetes Mellitus bieten glaubwürdige Anhaltspunkte, wonach schlecht eingestellte Patienten eine verzögerte Osseointegration haben, weshalb sie für eine Sofortimplantation eher nicht geeignet seien. Nach einem Jahr jedoch gäbe es keinen Unterschied mehr in der Implantatstabilität zwischen gesunden und Patienten mit schlechtem HbA1c-Wert. Weil es so wenig Evidenz über den Zusammenhang von Augmentation und Diabetes gibt, rät er, die Anamnese mit dem Patienten zu intensivieren.

Aktuell beschäftigen sich zudem Konsensuskonferenzen mit dem Einfluss von Medikamenten auf die Osseointegration. In Tierversuchen zeigt sich bei der Gabe von Antidepressiva eine deutlich geringere Knochenregeneration. Auch in retrospektiven, klinischen Studien zeigt sich ein höherer Implantatverlust, ähnlich verhält es sich bei Protonenpumpenblockern, auch hier gibt es eine eindeutige Evidenz zur Osteoklastenhemmung. Heftig diskutiert wird auch die prophylaktische Gabe von Vitamin D bei Implantatpatienten. Ob dies sinnvoll ist, lässt sich derzeit wissenschaftlich nicht belegen. Weiterhin zeigt jede Form von Tabakkonsum den bekannten negativen Effekt auf die Wundheilung.

Auch der Zusammenhang zwischen Periimplantitis und Parodontitis gilt nach derzeitiger Forschungslage als stabil gesichert. Prof. Al-Nawas stellte noch viele weitere Forschungsergebnisse vor, wie zu genetischen Risikofaktoren (Middle Ager haben den größten Implantatverlust), zum Nutzen von Schablonen (auch hierbei sind Schäden möglich), dynamischer Navigation (eine additive Maßnahme), Antibiose (Antibiotikaprophylaxe vor der OP ist etabliert), OP-Bedingungen (keine Evidenz für Überlegenheit eines Settings), der chirurgischen Erfahrung des Operateurs (Anzahl der gesetzten Implantate ist entscheidend) und Sofortimplantation (geminderte ästhetische Voraussagbarkeit).

 

Prof. Dr. Moritz Kebschull

Prof. Dr. Moritz Kebschull, Chair of Restorative Dentistry der University of Birmingham, referierte über die weichgewebigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implantation.

Weichgewebsaugmentation stellt gute Alternative dar

Abschließend referierte Prof. Dr. Moritz Kebschull, Chair of Restorative Dentistry der University of Birmingham über die weichgewebigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implantation. Seit der Studie von N. P. Lan und H. Loe „The relationship between the width for keratinized gingiva and gingival health“ aus dem Jahr 1972 geht man davon aus, dass ein Minimum von 2 Millimetern (mm) keratinisierter Mukosa essenziell für das Überleben des Implantats ist. Die Studie ist methodologisch aber angreifbar, weil sie sich auf den Gingivaindex stützt und die Frage im Raum steht, ob sie wirklich der richtige Erfolgsparameter ist. Neuere Studien legen nahe, dass eher die Beweglichkeit der Mukosa entscheidend ist, wobei die unbefestigte Mukosa mit höherem Implantatverlust einhergeht. Umgekehrt scheint es so zu sein, dass nach Weichgewebsaugmentation weniger Plaque und weniger Entzündung gemessen werden, den optimalen Zeitpunkt dafür sieht Prof. Kebschull bei der Implantation oder beim second stage.


Grundsätzlich gelte es der Frage nachzugehen, an welcher Stelle welches Weichgewebe erforderlich ist. In der funktionellen Zone könnten die befestige Mukosa mit etablierten Verfahren gut verbreitert und das Vestibulum vertieft werden. In der ästhetischen Zone geht es nicht so sehr um die Menge, sondern vielmehr um die Ästhetik des Weichgewebes. Daher sollten schon bei der Extraktion Maßnahmen ergriffen werden, die die Kompromittierung des Hart- und Weichgewebes minimieren. 

Eine Vielzahl von Studien belegen, dass eine Augmentation des Weichgewebes nicht zu einer Veränderung des Knochenlevels führen. Das Fazit von Prof. Kebschull lautet, dass eine Weichgewebsaugmentation zu verbesserter Hygienefähigkeit, weniger Entzündungen und einer verbesserten Ästhetik führt und als Ersatz für freies Schleimhauttransplantat und Kollagenmatrix geeignet ist.