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Fortgeschrittene ­Parodontitis: interdisziplinäre Versorgung wird hervorgehoben

EFP hat S3-Leitlinie zur Behandlung von Parodontitis Stadium IV veröffentlicht

Weltweit traten 2019 1,1 Milliarden Fälle von schwerer Parodontitis auf [1]. In Deutschland leiden schätzungsweise zehn bis elf Millionen Menschen an einer schweren Parodontitis (Stadium III und IV). „Eine alleinige systematische Parodontitistherapie reicht in schweren Parodontitis­fällen nicht aus, um die Dentition zu stabilisieren. Daher ist in der Regel für die orale Rehabilitation eine umfassende multidisziplinäre Behandlung notwendig, die auch prothetische, implantologische und/oder kieferorthopädische Maßnahmen beinhaltet“, sagte Professor Moritz Kebschull (Birmingham, England), Mitglied des Workshop-Organisationskomitees der European Federation of Periodontology (EFP) und Leitlinien-Beauftragter der DG Paro (Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e. V.) [2].

Aus diesem Grund veröffentlichte die EFP im vergangenen Jahr ­eine neue S3-Leitlinie zur Behandlung von Patienten mit einer fortgeschrittener Parodontitis (Parodontitis Stadium IV) [3]. Dieser Beitrag blickt auf die wichtigsten Punkte der europäischen Leitlinie, die schwerpunktmäßig auf eine detaillierte Diagnostik und Therapieempfehlungen anhand von vier verschiedenen Falltypen für das Parodontitisstadium IV abzielt.

Für schnelle Leser

  • Die EFP hat eine S3-Leitlinie mit Therapieempfehlungen zur Parodontitis Stadium IV ver­öffentlicht.
  • Die Bedeutung einer genauen Diagnostik in fünf Schritten wird hervorgehoben.
  • Die Behandlungsempfehlungen beziehen sich auf vier ver­schiedene klinische Falltypen (Phänotypen) und ihre jeweiligen Therapieoptionen.
  • Die deutsche Implementierung der europäischen Leitlinie steht noch aus, aufgrund von namhafter deutscher Beteiligung im internationalen Konsensus­gremium könnte die deutsche Version eng an der der EFP bleiben.

Detaillierte Diagnostik für einen multidisziplinären ­Behandlungsplan

Der Diagnoseprozess bei Patienten mit Parodontitis Stadium IV umfasst fünf Schritte. Professor Maurizio Tonetti von der Shanghai Jiao Tong University School of Medicine, Shanghai, China, Mit­autor der Leitlinie, sieht darin die Möglichkeit „… einen multidis­ziplinären Behandlungsplan auf der Grundlage dessen zu entwerfen, was tech­nisch und biologisch machbar sowie kostengünstig ist, und dabei die Präferenzen und Erwartungen der Patienten zu berücksichtigen.“ [2]

Fünf Diagnose-Komponenten

Fünf Komponenten der klinischen Diagnose einer fortgeschrittenen Parodontitis (Stadium IV) [2]

  1. Beurteilung des Schweregrads der parodontalen Destruktion, der Beeinträchtigungen der Ästhetik und der Kau- und Sprachfunktion
  2. Ermittlung der Anzahl von Zähnen, die aufgrund von Parodontitis verloren gegangen sind
  3. Bestimmung der erhaltungswürdigen, verbleibenden Zähne (Einzelzahnprognose)
  4. Bewertung aller oralen Faktoren, die den Erhalt von Zähnen und/oder das Setzen von dentalen Implantaten erschweren oder begünstigen können, zum Beispiel Zahnlücken oder das Knochenangebot.
  5. Erstellung einer Gesamtprognose des Patienten, einschließlich der Wahrscheinlichkeit eines Fortschreitens oder Wiederauftretens der Erkrankung, unter Berücksichtigung von Risikofaktoren wie Rauchen und Diabetes

Vier Hauptphänotypen der Parodontitis im Stadium IV

Die Erscheinungsformen von Parodontitiden im Stadium IV kön­nen sehr unterschiedlich ausfallen. Das Fachgremium definierte daher vier spezifische klinische Falltypen [3].

Falltyp 1: Patienten mit Zahnhypermobilität aufgrund eines sekundären okklusalen Traumas, das ohne Zahnersatz korrigiert werden kann. Die Übergänge von Parodontitisfällen des Stadium III und dem Falltyp 1 des Stadium IV sind hinsichtlich Schweregrad und Komplexität der Behandlung fließend.
Falltyp 2: Patienten mit pa­thologischer Zahnmigration, gekennzeichnet durch Zahnverlängerung, -drift und -auf­fächerung, bei der eine kieferorthopädische Korrektur möglich ist
Falltyp 3: teilbezahnte Pati­enten, die ohne vollständige Zahnbogenrehabilitation prothetisch versorgt werden können
Falltyp 4: teilbezahnte Pati­enten mit einem Restgebiss, das eine Rehabilitation des gesamten Zahnbogens be­nötigt, entweder zahn- oder implantatgetragen, festsit­zend oder herausnehmbar
Behandlungspfade gemäß den verschiedenen ­Falltypen

Die Falltypen mit den unterschiedlichen Graden an funktioneller und ästhetischer Beeinträchti­gung führen zu verschiedenen Thera­piebedarfen, die im Folgenden aufgeführt sind. Details zu den Therapieempfehlungen werden jeweils in den hinteren Kapiteln der Leitlinie noch weiter präzisiert [3].

Behandlungspfad Falltyp 1

Vorübergehende Verblockung und okklusale Anpassung der Zähne, um weitere Zahnbewegungen und ein sekundäres okklusales Trauma zu verhindern (während Therapiestufe 1). Nach Abschluss der The­rapiestufen 2 bis 3 der Parodontal­therapie eventuell längerfristige Schienung. Weitere Details finden sich un­ter Punkt 6 in der Leitlinie (6 Klinische Empfehlungen: Falltyp 1) [3].

Behandlungspfad Falltyp 2

Eine kieferorthopädische Therapieplanung kann während Schritt 2 der Parodontalbehandlung (subgingivale Instrumentierung) und in einigen Fällen in Schritt 3 (subgingivale Nachinstrumentierung und parodontale Chirurgie) erfolgen. Die eigentliche KfO-Behandlung selbst sollte erst beginnen, wenn die Therapieziele erreicht wurden (Verflachung und Kontrolle bestehender Taschen, Entzündungsfreiheit, keine Stellen mit 5 mm und BOP und keine Stellen mit ≥ 6 mm [4]).

Bei Vorliegen von intraossä­ren Defekten, die regenerativ therapiert werden, brauchen Behandler das Heilungsergebnis nicht über einen längeren Zeitraum abzuwarten. Es gibt Hinweise, dass ein kurzer (ein Monat) und ein längerer Zeitraum (sechs Monate) zwischen par­odontaler/regenerativer The­rapie und KfO-Behandlung zu vergleichbaren Ergebnissen führen [5, 6, 7]. Weitere Details finden sich unter Punkt 7 der Leitlinie (7 Klinische Empfehlungen: Falltyp 2) [3].

Behandlungspfad Falltyp 3

Der Zeitpunkt für provisorische Versorgungen sollte, falls erforderlich, sorgfältig auf der Grundla­­­ge der Individualität des Falls und unter Berücksichtigung der Pati­en­tenwünsche und ästhetischen Gesichtspunkte abgewogen werden. Idealerweise sollten provisorische Restaurationen oder Zahnimplantate nicht vor Abschluss von Schritt 2 der Parodontaltherapie eingesetzt und, wenn möglich, verschoben werden, bis die parodontalen Behandlungsziele erreicht sind. Erst nach erfolgreichem Abschluss der Parodontaltherapie und einer eventuellen zusätzlichen konservierenden Behandlung der Pfeilerzähne hat eine definitive restau­rative Rehabilitation oder das Einsetzen von Zahnimplantaten zu erfolgen. Weitere Details finden sich un­ter den Punkten 8 und 9 der Leitlinie (8 klinische Empfehlungen: Gesamtstrategie der Behandlung der Falltypen 3 und 4 und 9 Klinische Empfehlungen: Falltyp 3) [3].

Behandlungspfad Falltyp 4

Hier wird zwischen der Versorgung mit und ohne Implantate unterschieden. Wenn zahngetragenen Restaurationen hergestellt wer­den sollen, wird nach erfolgreichem Abschluss von Schritt 1 der Parodontalbehandlung häufig eine Zwischenversorgung eingesetzt. Schritt 2 der Parodontalbehandlung, einschließlich Zahnstein­entfernung und Instrumentie­rung der Wurzeloberfläche der Pfeilerzähne, soll dann zusammen mit der temporären Versorgung durchgeführt werden. Das Einsetzen einer definitiven Restauration (oder einer langfristigen Zwischenrestauration) erfolgt nach erfolgreichem Abschluss der Parodontaltherapie und dem Verflachen der Taschen und der Kontrolle der Entzündungen.

Müssen alle restlichen Zähne eines Zahnbogens extrahiert werden und sollen dann Implantate gesetzt werden, werden diese idealerweise nach erfolgreichem Abschluss von Schritt 1 der Parodontalbehandlung eingesetzt. Die Abfolge der Behandlung und das Einsetzen von festsitzenden oder herausnehmbaren temporären Prothesen richtet sich nach der erforderlichen Wund- beziehungsweise Einheilzeit zum einen und den Patientenwünschen nach angemessener Ästhetik und Kaukomfort während der Phase bis zur definitiven Versorgung zum anderen. Weitere Details finden sich unter den Punkten 8 und 10 der Leitli­nie (8 Klinische Empfehlungen: Gesamtstrategie der Behandlung der Falltypen 3 und 4 und zehn klinische Empfehlungen: Falltyp 4) [3].

Ausblick auf die deutsche Implementierung der Leitlinie

Die hier vorgestellte Leitlinie zur Parodontitis Stadium IV stellt laut EFP-Präsident Professor Andreas Stavropoulos eine wichtige Ergänzung der Leitlinien für die Stadien I bis III [8] dar. „Damit gibt es auf europäischer Ebene zum ersten Mal Empfehlungen für eine interdisziplinäre und evidenzbasierte Versorgung aller Stadien von Parodontitis“, so Stavropoulos [2]. Die EFP werde mit nationalen Fachgesellschaften für Parodontologie zusammenarbeiten, um die Leitlinie zu übersetzen und in den natio­nalen Versorgungsrahmen zu implementieren, erläuterte der EFP-Präsident. Da beim Workshop zur Konsentierung der Leitlinienempfehlungen auch zahlreiche deutsche Experten aus allen Bereichen der Zahnmedizin dabei waren, kann angenommen werden, dass die Schnittmengen recht groß sein werden und die Empfehlungen weitgehend übernommen werden.

Dr. Kerstin Albrecht, Düsseldorf

Hinweis: Beiträge in der Rubrik Oralmedizin kompakt können nicht die klinische Einschätzung des Lesers ersetzen. Sie sollen ­lediglich – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungs­findung unterstützen.

Literatur

[1] Chen, M. X., Zhong, Y. J., Dong, Q. Q., Wong, H. M., & Wen, Y. F. (2021). Global, regional, and national burden of severe periodontitis, 1990-2019: An analysis of the global burden of disease study 2019. Journal of Clinical Periodontology, 48(9), 1165–1188. doi.org/10.1111/jcpe.13506
[2] Pressemeldung der DG Paro: „Europäische Leitlinie zur Behandlung von fortgeschrittener Parodontitis veröffentlicht“, 15. Juni 2022
[3] Herrera D, Sanz M, Kebschull M, Jepsen S, Sculean A, Berglundh T, Papapanou PN, Chapple I, Tonetti MS; EFP Workshop Participants and Methodological Consultant. Treatment of stage IV periodontitis: The EFP S3 level clinical practice guideline. J Clin Periodontol. 2022 Jun;49 Suppl 24:4-71. Doi: 10.1111/jcpe.13639.
[4] Sanz, M., Herrera, D., Kebschull, M., Chapple, I., Jepsen, S., Berglundh, T., Wennström, J., Sculean, A., Tonetti, M. S., EFP Workshop Participants and Methodological Consultants, Merete Aass, A., Aimetti, M., Kuru, B. E., Belibasakis, G., Blanco, J., Bol-van den Hil, E., Bostanci, N., Bozic, D., Bouchard, P., … Brocklehurst, P. (2020). Treatment of stage I-III periodontitis – The EFP S3 level clinical practice guideline. Journal of Clinical Periodontology, 47, 4–60. doi.org/10.1111/jcpe.13290
[5] Kloukos, D., Roccuzzo, A., Stahli, A., Sculean, A., Katsaros, C., & Salvi, G. E. (2021). Effect of combined periodontal and orthodontic treatment of tilted molars and of teeth with intra-bony and furcation defects in stage-IV periodontitis patients: A systematic review. Journal of Clinical Periodontology, 49(Suppl 24), S121-S148. doi.org/10.1111/jcpe.13509
[6] Martín, C., Celis, B., Ambrosio, N., Bollain, J., Antonoglou, G. N., & Figuero, E. (2021). Effect of orthodontic therapy in periodontitis and non-periodontitis patients: A systematic review with meta-analysis. Journal of Clinical Periodontology, 49 (Suppl 24), S72-S101.
[7] Papageorgiou, S. N., Antonoglou, G. N., Michelogiannakis, D., Kakali, L., Eliades, T., & Madianos, P. (2021). Effect of periodontal-orthodontic treatment of teeth with pathological tooth flaring, drifting and elongation in patients with severe periodontitis: A systematic review with meta-analysis. Journal of Clinical Periodontology, 49(Suppl 24), S102-S120. doi.org/10.1111/jcpe.13529
[8] Mariano Sanz, David Herrera, Moritz Kebschull, Iain Chapple, Søren Jepsen, Tord Berglundh, Anton Sculean, Maurizio S. Tonetti. Treatment of stage I-III periodontitis –The EFP S3 level clinical practice guideline. J Clin Periodontol. 2020;47(Suppl 22):4–60. Doi:10.1111/jcpe.13290. Deutsche Version hier.

Dr. Kerstin Albrecht

Dr. med. dent. Kerstin Albrecht war nach Jahren der Klinik- und Praxistätigkeit und einer journalistischen Ausbildung zunächst für Healthcare-PR-Agenturen und einen Dentalverband tätig. Seit 2019 schreibt sie als freie Fachjournalistin für zahnmedizinische Fachzeitschriften, erstellt Pressetexte für die Dentalindustrie und berät Dentalverbände bei der Öffentlichkeitsarbeit.

Mitglied seit

1 Jahr 4 Monate

Titelbild: Natee Meepian - stock.adobe.com