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Wann, wie und was augmentieren?

Eine Augmentation gehört in die Werkzeugkiste jeder Implantologin und jedes Implantologen. Erforderlich ist jedoch eine ausreichende Qualifizierung des Operateurs und eine sorgfältige Planung. Dabei gibt eine Vielzahl an Techniken, von einfacheren wie dem Sinuslift bis hin zu hoch komplexen Augmentationen mit entsprechend höheren Komplikationsraten. „Aus Sicht von Patientinnen und Patienten ist jede vermeidbare Augmentation ein Gewinn, sodass dieser Vermeidung beziehungsweise einer Minderung der Komplexität des Eingriffs ein hoher Stellenwert zukommt“, erklärt Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Mainz und Fortbildungsreferent der DGI. „Und dank immer kleinerer Implantate und ungewohnter Implantatpositionen sind Augmentationen auch immer öfter vermeidbar. Ein stabiler Knochen ist das A und O einer Implantation. Hard- und Software machen heute vieles möglich, aber wenn das nicht funktioniert, muss man augmentieren“, so Prof. Dr. Al-Nawas.

Prof. Al-Nawas vor Mikrofonen stehend

Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas

Herr Professor Al-Nawas, einige Defekte erfordern nicht mehr zwingend eine Augmentation, Stichwort kurze Implantate. Welchen Stellenwert haben sie, und bei welchen Indikationen sind sie sinnvoll?
Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas
: Zunächst möchte ich betonen, dass man sicher nicht den Fehler machen darf, die Augmentation als Ganzes nur kritisch zu sehen. Wenn eine Augmentation nötig ist, muss man sie machen. Sonst steigt bei einem zu geringen Knochenangebot das Periimplantitisrisiko. Allerdings haben wir gelernt, dass die Implantate schmaler und kürzer sein können, als wir immer gedacht haben. Und wir haben begriffen, dass man mit der digitalen Planung Positionen finden kann, die zunächst ungewohnt erscheinen, weil das Implantat zum Beispiel anguliert wird, was aber zu vorhersagbaren Ergebnissen führen kann, auch ohne Augmentation.

Insgesamt gibt es nur wenige gute Daten zu kurzen Implantaten, aber aus Beobachtungsstudien wissen wir, dass man mit ihrer Hilfe etwa ein Drittel der Augmentationen einsparen kann. Ein wichtiger Aspekt ist sicherlich auch die Minderung der Komplexität von Eingriffen. Kurze Implantate können dazu beitragen, dass aufwendige Knochenrekonstruktionen seltener erforderlich sind. Es gibt Studien zur Zahnextraktion im Molarenbereich im Oberkiefer, die zeigen, dass eine Ridge Preservation wahrscheinlich die Zahl erforderlicher Sinuslifte reduzieren kann. Dies zeigt, wie man durch eine geschickte Planung (und umschriebene Augmentation) schon bei der Extraktion eine umfangreichere Augmentation vermeiden kann.  

Der Erfolg einer Augmentation ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig, beispielsweise dem Biotyp, dem Zeitpunkt der Implantation und auch dem Können des Operateurs. In Ihrer Klinik in Mainz wird im Vorfeld eines Eingriffs der SAC-Risiko-Score um allgemeinmedizinische Aspekte wie zum Beispiel Medikation erweitert. Macht sich der Aufwand dieses Screenings im Vorfeld im Patienten-Outcome bemerkbar?
Al-Nawas:
Der Patient erwartet von uns eine ehrliche Einschätzung der Prognose, die wir ihm auch rechtlich schuldig sind. Wir haben gelernt, dass es bei der Prognose nicht nur um die Knochenmenge gehen darf, sondern natürlich auch um das Regenerationspotenzial. Wir wissen, dass die Augmentation bei einem schlecht eingestellten Diabetespatienten weniger Aussicht auf Erfolg hat als bei einem kerngesunden Patienten. Bei unserer medizinischen Einschätzung nehmen wir die Patienten mit auf die Reise, insbesondere jene mit Risikofaktoren.

Neben einem schwer einzustellenden Diabetes gehören dazu sicher auch Patienten mit rheumatischen Erkrankungen unter Kortison oder Patienten, die mit Blutverdünnern behandelt werden. Für diese Patientinnen und Patienten ist ein kleines Implantat mit dem Risiko einer hohen technischen Belastung, wo vielleicht mal etwas sich lockern könnte, leichter zu akzeptieren als für jemanden, der kerngesund ist und der sagt, es muss alles stabil sein. Das ist ein Teil des Mosaiks insbesondere bei der Bewertung der Indikation für eine Augmentation. Die Frage sollte immer lauten: Was gewinnt der Patient an Lebensqualität? Auch ein Risikopatient möchte kaufunktionell rehabilitiert werden, aber vielleicht besser augmentationsfrei.

Es gilt, die richtige Form der Versorgung zu findet anhand der medizinischen Faktoren, die der Patient mitbringt. Dabei ist der Implantatverlust im Grunde nicht der Super-GAU, sondern problematisch sind die Komplikationen, die aus einer nicht den Risiken angepassten Versorgung entstehen können, etwa starke Blutungen, eine Infektion oder eine Knochennekrose. Das sind Dinge, die bei implantologischen und augmentativen Maßnahmen nicht vorkommen dürfen.

farbiges Diagramm der Risikoanalyse

Die Risikoanalyse der Universtiätsmedizin Mainz bei einer Augmentation

Ein weiterer aktueller Trend sind Sofortimplantationen. Wie groß ist der Anteil der Sofortimplantationen mit und ohne Sofortaugmentation, gemessen an der Gesamtzahl an Implantationen in Deutschland?
Al-Nawas
: Das ist für den Patienten natürlich ein interessantes Konzept. Er oder sie kommt einmal in die Praxis, bekommt in einer Operation eine Versorgung, meist ohne eine zweite Entnahmestelle. In diese Richtung gehen auch die Themen All-on-4- und angulierte Implantate, einem Konzept, bei den mit einer guten Planung die Komplexität der Maßnahme deutlich minimiert werden kann.  
Die Studiendaten zeigen, dass wir am Ende des Implantats 1 bis 2 mm Knochen, im ästhetischen Bereich eher 2 mm, bukkal brauchen. Bei den meisten Patienten ist der Knochen bukkal aber so dünn, dass es für die meisten ästhetisch gelungenen Sofortimplantationen im Frontzahnbereich auch einer Augmentation des Knochens und teilweise auch des Weichgewebes bedarf. Das sind komplexe Eingriffe, zu denen es leider keine Zahlen gibt.

Für uns stellt sich aber noch eine andere Frage: Wie kann der Patient eigentlich erkennen, wer diese komplexen Eingriffe beherrscht? Die Kollegen, die einen Tätigkeitsschwerpunkt über die Konsensuskonferenz haben, sind dafür schon einen ersten wichtigen Schritt gegangen. Bei der DGI überlegen wir, wodurch auch die praktische Qualifikation eines Behandlers für die Patienten sichtbar werden kann, zum Beispiel mit einem Experten- und Spezialistenstatus in der Implantologie, der an transparente und klare Anforderungen geknüpft ist. Ich gehe davon aus, dass die DGI diese Spezialisierung etablieren wird, ähnlich wie es den Spezialisten in der Prothetik oder für die Parodontitis gibt. Es wird mehr Transparenz geben, vermutlich mit einem 3-Stufen-Modell.  

Welcher Behandler kann eine Sofortimplantation durchführen und wer besser nicht?
Al-Nawas
: Bei einer Implantation ist chirurgisches Wissen und Können erforderlich. Man muss den Willen haben, sich auf die Details der Chirurgie einzulassen. Das ist der eine Punkt. Der zweite: Als Behandler müssen Sie auch die Knochenersatzmaterialien und den Patienten medizinisch verstehen. Kurz: man muss ein medizinisches und ein handwerkliches Auge entwickeln.

Das DGI-Curriculum Implantologie vermittelt Wissen für Implantate in Standardsituationen, im Bereich von „straight forward (S-)“- und etwas aus dem Bereich der „advanced (A-)“-Anwendung. Eine Sofortimplantation gehört aber sicherlich zu den komplexen Indikationen, die nur von erfahrenen und gut fortgebildeten Behandlern durchgeführt werden sollte. Denn es gibt viele Facetten zu beachten:  Wie reagiert das Gewebe, wenn der Zahn raus ist? Welcher Zahn kann überhaupt ersetzt werden?  Ist der Knochen infiziert, ist der Patient geeignet? Die Firmen haben ein großes Interesse daran, Sofortimplantationen als sehr einfachen Eingriff darzustellen. Aber die Fehlerquellen sind gerade im ästhetischen Bereich immens, und man sollte sich da schrittweise herantasten. Erst einmal mit einer normalen Implantation anfangen. Erst wenn man das Gewebe und die Ästhetik versteht, kann man den nächsten Schritt wagen.  

Sie sind gemeinsam mit Dr. Tröltzsch der Koordinator der im Juni 2020 publizierte Leitlinie „Implantologische Indikationen für die Anwendung von Knochenersatzmaterialien“. Welche klinischen Bewertungen gibt es? Wann ist der Einsatz von Knochenersatzmaterial dem von autologem Knochen vorzuziehen?  
Al-Nawas:
Es gibt einige Indikationen, bei denen Knochenersatzmaterial sehr gut funktioniert, etwa beim Sinuslift. Man muss beim Sinuslift also nicht immer zwingend auf autologen Knochen zurückgreifen. Die Implantate werden immer kürzer, und bei einem Sinuslift funktioniert sogar auch Eigenblut ohne weiteres Knochen- oder Ersatzmaterial. Für die Hersteller ist das enttäuschend, weil man nicht beweisen kann, welches Material am besten funktioniert.  

Auch bei Defekten im Frontzahnbereich, der klassischen GBR-Situation, mit einem dreiwandigen Defekt, den man als Zahnarzt angehen kann, bietet sich häufig Knochenersatzmaterial an. Bei der Abwägung zwischen dem eigentlich ausreichenden Eigenknochen und Fragen der Ästhetik fängt man an, mit Knochenersatzmaterial zu arbeiten. Dabei muss man unterscheiden zwischen dem eher langsam und dem schneller resorbierenden Material, wozu auch der autologe Knochen gehört. Hier muss jeder Zahnarzt seine eigenen Erfahrungswerte sammeln. Die klassische GBR bietet sich an, um schrittweise mit dem Augmentieren zu beginnen. Wichtig ist, alle Materialien sind nur osseokonduktiv, sie bieten dem Knochen eine Leitstruktur, aber keine wirkliche Knochenregeneration an.  

Von erheblichem Interesse ist die Frage, welche Rolle Kollagenmembranen dabei spielen. In Zukunft wird man sehen, dass diese Membranen auch einen Effekt erfüllen und Knochenneubildung fördern.  
In der ästhetischen Konturaugmentation haben Biomaterialien ihren Platz, mal mehr oder weniger auch mit Eigenknochen vermischt. Das ist eine etablierte Technik. Insgesamt wird der autologe Knochen jedoch dabei immer unwichtiger werden.

Bei schweren vertikalen Augmentationen oder schmalen Kieferkämmen hingegen, die man zweizeitig angehen muss, wird man weiterhin auf autologen Knochen zurückgreifen. Aber diese Indikationen werden seltener, da die Implantate immer schmaler werden. Bei uns in der Klinik gehen die komplexen, zweizeitigen Augmentationen mit Blöcken deutlich zurück.

Diagramm der klinischen Behandlungspfade

Das klinische Vorgehen bei einer Augmentation folgt an der Mainzer Uniklinik etablierten Behandlungspfaden.

Platelet-Rich-Fibrin (PRF) wirkt erwiesenermaßen vor allem beim Aufbau des Weichgewebes. Im vergangenen Herbst wurde auch dazu eine neue Leitlinie verabschiedet. Können Sie einen Ausblick auf die wesentlichen Aussagen geben?
Al-Nawas:
PRF bietet einen Boost an Wachstumsfaktoren, das heißt, es verbessert die Wundheilung. Es gibt Daten, die zeigen, dass bei der Weisheitszahnentfernung weniger Schmerzen auftreten, weniger Ostitis, es ist aber umstritten, wie stabil diese Evidenz ist.  Die meisten verwenden es, um ihre (Ersatz-)Materialen besser verarbeiten zu können, „Sticky Bone“ ist hier das Stichwort. Das ist eine typische Anwendung, die eher das Handwerk betrifft und weniger die Knochenheilung, denn histologisch gesehen ist PRF kein Gamechanger.  

In unserer Klinik bekommt der Patient oftmals einen intravenösen Zugang, über den wir sedieren, PRF abnehmen und Medikamente applizieren können. Bei komplexen Augmentationen zahlt sich das aus. Der Stress ist viel geringer und man ist für den Notfall gewappnet. Deshalb sollten wir das Legen von IV-Zugängen im Fach Zahnmedizin halten. Die Leitlinie Sedierung in der Zahnmedizin wird übrigens gerade erstellt.