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Dem Täter auf der Spur: Zahnanalyse im Mordprozess

Mordprozess

Untersuchung: Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen fertigt regelmäßig forensische Gutachten an.

Wie alt ist der nach dem Sexualmord an einer Medizinstudentin in Freiburg angeklagte Flüchtling Hussein K.? Die Anthropologin Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen stellte bei einer Zahnanalyse fest, dass er zwischen 22 und 26 Jahre alt ist. Wenn das Gericht dieser Einschätzung folgt, gilt für den jungen Mann das Erwachsenenstrafrecht. Er hatte zunächst ausgesagt, bei der Tat 17 Jahre alt gewesen zu sein. Wie Ursula Wittwer-Backofen bei Zahnanalysen vorgeht, und welche Aufgaben noch zu ihrem Spezialgebiet gehören, erklärte die Wissenschaftlerin DZW-Redakteurin Evelyn Stolberg im Interview. 

Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen, wer hat Sie mit dem forensischen Gutachten im Fall Hussein K. beauftragt?

Wittwer-Backofen: Da die Ermittlung noch läuft, darf ich nicht bei jeder Frage ins Detail gehen. Üblicherweise ist es aber so, dass es auf den Stand der Ermittlungen ankommt. Wenn noch ermittelt wird, kommen die Aufträge von der Polizei oder dem Landeskriminalamt. Wenn ein Fall bereits vor Gericht ist, üblicherweise von der Staatsanwaltschaft.

Haben Sie schon häufiger forensische Gutachten angefertigt?

Wittwer-Backofen: Ja, das mache ich regelmäßig. Am häufigsten fertigen wir morphologische Gutachten an. Dabei geht es um den Vergleich von Körpermerkmalen. In der Regel sind dies Täteridentifizierungen, die wir anhand von Bildern aus Überwachungskameras vornehmen. Auch die Identifizierung unbekannter Toter kommt recht häufig vor, wobei dies keine gerichtlichen Konsequenzen für uns hat. Ein Spezialgebiet ist bei uns an der Universität Freiburg die forensische Gesichtsrekonstruktion. Die Ermittler versuchen mit unserem Ergebnis, unbekannte Opfer zu identifizieren, etwa durch den Abgleich mit Vermisstendatenbanken oder indem sie sich an die Öffentlichkeit wenden.

Wie stellen Sie das Alter eines Menschen anhand seines Zahns fest?

Wittwer-Backofen: Hier wenden wir die Zahnzementbestimmung an. Ähnlich wie bei Jahresringen bei Bäumen gibt es helle und dunkle Ringe, die sogenannten Zahnzementringe, die sich um die Zahnwurzel aufbauen. Unter dem Mikroskop können wir regelrechte Hell- und Dunkelbande sehen. Jeweils eine dieser Hell- und Dunkelbanden entspricht einem Lebensjahr. Nicht alle dieser Banden sind dabei gleich breit. Festgestellt haben wir beispielsweise, dass nach körperlichen Stressphasen wie Schwangerschaften oder Tuberkulose-Erkrankungen die Ringe deutlich breiter waren.

 

Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen

Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen

Wie gehen Sie bei der Zahnanalyse vor?

Wittwer-Backofen: Wir fertigen etwa zehn bis zwölf Querschnitte von etwa 70 bis 80 Mikrometern aus dem Zahnwurzelareal an. Diese Schnitte werden dann für die Mikroskopie vorbereitet und bei 20- bis 40-facher Vergrößerung mikroskopiert. Von einzelnen Arealen nehmen wir Bilder auf. Diese holen wir später aus der Datenbank, vergrößern die Ausschnitte und verstärken den Kontrast. Zum Schluss zählen wir die Ringe. Diese geben die Anzahl der Jahre an, in denen sich der Zahn im Kiefer befunden hat, und addieren das Alter, in dem die Zahnwurzel gebildet wird. Auf diese Weise können wir das Lebensalter eines Menschen recht genau bestimmen.

Wie häufig analysieren Sie Zähne?

Wittwer-Backofen: Wir haben schon viele tausend Zähne im Labor untersucht. Am häufigsten sind es Zähne von historischen Bevölkerungen. Wir haben Zähne von Menschen untersucht, die vor etwa zehn- bis zwölftausend Jahren oder im Mittelalter gelebt haben. Anhand der Daten möchten wir die damalige durchschnittliche Lebenserwartung rekonstruieren. Besonders interessant sind die Ergebnisse von nicht sesshaften Bevölkerungen aus dem Mesolithikum. Dabei ist das Ziel, zu verstehen, wie sich die Sesshaftwerdung entwickelt hat. Gelegentlich kommen auch Anfragen zu historischen Personen. Bei Schiller etwa oder den Medici haben wir das Alter über eine Zahnanalyse geprüft. Auch bei Lebenden werden wir gelegentlich angefragt, um das Alter etwa bei Personen zu verifizieren, die Rente beantragen möchten, aber keine Dokumente vorlegen können. 

Können Sie auch anhand von nicht extrahierten Zähnen feststellen, wie alt ein Mensch ist?

Wittwer-Backofen: Bei intakten Zähnen können wir das leider nicht. Wir haben hier zwar bereits Anstrengungen unternommen, bräuchten aber eine Sonde, mit der wir zuverlässig bis zu einer bestimmten Tiefe ins Zahnfach gelangen müssten. Eins meiner Wunschziele für die Zukunft ist ein Forschungsprojekt, um ein Gerät zu entwickeln, dass dies ermöglicht.   

Wo liegt bei der Zahnanalyse die Herausforderung?

Wittwer-Backofen: Die Methode ist an sich recht anspruchsvoll in allen ihren Arbeitsschritten. Die größte Herausforderung liegt aber in der Auszählung der einzelnen Zahnzementringe. Die Linien sehen nicht aus wie helle Zebrastreifen auf einer dunklen Straße, sondern es gibt Gabelungen und Verästelungen ... Es braucht ein langwieriges Training, bis man dies beherrscht, und es ist der kritische Punkt, an dem die Methode besondere Aufmerksamkeit erfordert. Deshalb ist ein intensives Training wichtig. Unseren Mitarbeitern stehen hierfür Bilder von rund 600 Zähnen aus einer großen Evaluierungsstudie zur Verfügung, anhand derer sie drei Monate lang intensiv die Bestimmung und das Auszählen der Linien üben.

Der Eckzahn für Ihre Analyse war Hussein K. bei einem Routineeingriff beim Zahnarzt gezogen worden, die Polizei fand ihn nach der Festnahme des Flüchtlings in dessen Wohnung. Wie haben Sie festgestellt, dass es tatsächlich sein Zahn ist?

Wittwer-Backofen: Grundsätzlich gibt es bei einem Strafverfahren immer eine molekulargenetische Untersuchung, damit wir sicher gehen können, dass die untersuchten Zähne auch zu einer bestimmten Person gehören.

Sie sind Professorin am Institut für Anthropologie der Universität Freiburg. Kannten Sie das Opfer, das Medizinstudentin war?

Wittwer-Backofen: Ich kannte sie nicht. Als Biologin mit dem Schwerpunkt Anthropologie bin ich nur sporadisch in die Mediziner-Ausbildung eingebunden. Zwei- bis dreimal im Jahr bin ich dort an dem rechtsmedizinischen Curriculum beteiligt und betreue Doktoranden der Medizin.

Ist der Auftrag mit Ihrer Aussage vor Gericht für Sie abgeschlossen?

Wittwer-Backofen: Das hängt vom Verlauf des Verfahrens ab, für mich ist der Fall nun abgeschlossen.

Was halten Sie von Fernsehsendungen wie „Bones“ oder „CSI“, in denen Ihr Beruf eine Rolle spielt?

Wittwer-Backofen: Unsere Doktoranden schauen sich manchmal gemeinsam in der Uni die Staffeln an. Das ist sehr unterhaltsam. Vor allem, wenn man weiß, wie die Arbeit tatsächlich funktioniert, und dass eine Gesichtsrekonstruktion nicht auf Knopfdruck in 3D herumkreisend im Raum erscheint. Wir haben zwar viele automatisierte Abläufe, doch in der Realität sind wir von solchen Möglichkeiten weit entfernt. Außerdem geben wir unsere Untersuchungsergebnisse an die Ermittler weiter. Wir machen keine Tatortrekonstruktionen und versuchen auch nicht, Täter zu fassen. Das ist zwar publikumswirksam, aber in unserem Beruf nicht üblich.