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Aufsuchende Zahnmedizin – Wege aus dem Dilemma

Behandlung eines hochbetagten Patienten

Am 15. Juni 2019 findet in Hamburg der 29. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin statt.

Die Aufgabe, Patienten zu Hause oder in Wohneinrichtungen zu besuchen, bescheren der Zahnärztin und dem Zahnarzt das Dilemma der Entscheidung mehrerer Fragen. Die wichtigste Frage ist eine Frage der Mitmenschlichkeit und des ärztlichen Ethos: Wer kann schon nein sagen, Patienten zu helfen, insbesondere wenn sie aufgrund von Pflegebedürftigkeit nur mit größerem Aufwand (Patienten-Transport) in eine Zahnarztpraxis kommen können …

Die nächsten Fragen:
• Ist es zu unbequem, die Praxis zu verlassen und den Patienten aufzusuchen? Wohl kaum ein Kriterium, das offen geäußert werden kann.
• Ist es unzumutbar weit weg? Es gibt die freie Arztwahl, aber ein Behandlungsvertrag muss von beiden Seiten geschlossen werden – und ein Arzt darf auch nein sagen und dem Patienten raten, einen näher gelegenen Arzt zu bitten.
• Ist ein Hausbesuch „unwirtschaftlich“, weil das Honorar zu niedrig erscheint (wenn man es mit Dienstleistungen von Handwerkern wie Waschmaschinen-Mechanikern vergleicht)? Die Antwort ist vielschichtig …

Die Gesundheits- und Sozialpolitiker haben das Problem „Pflegebedürftigkeit und zahnmedizinische Versorgung“ erkannt und fordern die Lösung von den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, indem sie an den Sicherstellungsauftrag erinnern. KZBV und Krankenkassen ringen im GBA um die Bedingungen. Volkswirtschaftlich besehen, soll die Lösung nicht so lukrativ sein, dass die „normale“ ambulante Versorgung (der Patient geht zum Zahnarzt) weniger attraktiv erscheint, denn dann würden sich die Praxen nicht mehr lohnen. Ein Hausbesuch soll angemessen honoriert werden – doch was ist angemessen?

Volkswirtschaftlich und sozialpolitisch wird auch ein Unterschied gemacht zwischen Waschmaschinen-Mechanikern und Ärzten. Die Dienstleistung des Arztes ist „höherer Art“, kein Gewerbe, wird nicht ausschließlich nach Angebot und Nachfrage gehandelt und bestimmt. Das deutsche Gesundheitswesen hat das Kassen(zahn)arztrecht und Gebührenordnungen geschaffen, die verhandelt werden und nicht in Stein gemeißelt sind. „Mischkalkulation“ ist das Prinzip des „Bema“.

Betriebswirtschaftlich darf es nicht zur „Bestrafung“ des aufsuchenden Zahnarztes führen, wenn er auch Hausbesuche durchführt. Konzepte, wie die aufsuchende Zahnmedizin in den Praxisbetrieb integriert werden kann, ohne dass der ausführende Zahnarzt sich „ins eigene Fleisch schneidet“, gibt es, und sie werden in Fortbildungen auch vermittelt. Man muss sich eben informieren und positive Beispiele überprüfen, ob und wie sie sich in das bisher bestehende Praxiskonzept einbinden lassen.
Die Zahnärztekammern und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sollen (ähnlich den Notdienst-Plänen) sicherstellen, dass Bedürftige – insbesondere Pflegebedürftige – nicht unversorgt bleiben. Bislang hat das auch funktioniert, es fanden sich genug Kollegen, die aufsuchend tätig wurden.

Der Bedarf steigt
Doch die Zahl der Pflegebedürftigen in einer älter werdenden Gesellschaft steigt, und mit ihr steigt der Bedarf an aufsuchenden Zahnärzten. Wie ist umzugehen mit Kollegen, die sich einfach aus Bequemlichkeit weigern, Pflegebedürftige zu untersuchen, zu betreuen und eine Versorgung zu organisieren (sollen das doch andere machen)? Natürlich kann man niemanden zu Dienstleistungen zwingen, aber es muss versucht werden, zu motivieren und Vorurteile abzubauen.Jeder Zahnmedizin-Studierende sollte an jeder deutschen Universität verpflichtend im Fach Seniorenzahnmedizin ausgebildet werden, Besuche in Pflegeeinrichtungen sowie Hospitationen in der Geriatrie und beim Hausbesuch einer niedergelassenen Kollegin und eines Kollegen sollten dazugehören. Die Studierenden sollten die Lebenswelt der pflegebedürftigen Senioren schon kennengelernt haben, sodass die Hürde später in der eigenen Praxis nicht so hoch erscheint. Nur wenn es den Zahnärzten gelingt, die Aufgabe „Hausbesuche“ auf viele Schultern zu verteilen, fühlen sich diejenigen, die Hausbesuche machen, auch nicht ausgenutzt. Es wird wahrscheinlich immer einige Kolleginnen und Kollegen geben, die aus besonderen Gründen keine Hausbesuche machen können.

Dr. Thomas Einfeldt

Dr. Thomas Einfeldt, DGAZ-Landesbeauftragter Hamburg und Vizepräsident der Zahnärztekammer Hamburg KdöR.


Die Zahnärztekammer Hamburg und die Deutsche Gesellschaft für AlterszahnMedizin DGAZ veranstalten am Samstag, 15. Juni 2019, in Hamburg einen gemeinsamen Kongress „Prothetische Versorgung bei Gebrechlichen und Pflegebedürftigen“, auf dem es nicht nur um technische Zahnersatz-Planung geht. Unter dem TOP „Politischer Pflegefall Mundhöhle“ wird zur Sprache kommen, was noch unzureichend geregelt ist, wo Leistungen und Gebühren fehlen; die Diskussion muss geführt werden! Es gibt durchaus Gesundheitsökonomen, die sich in die gesundheitspolitische Diskussion einbringen wollen und „neue Management-Strukturen“ vorschlagen, um Pflegebedürftige zahnmedizinisch zu betreuen. Es ist fraglich, ob die Zahnärzteschaft diese von Nicht-Zahnärzten vorgeschlagenen Lösungen wünscht.

Nähere Informationen zu Kongress und Workshops gibt es auf der Internetseite der Zahnärztekammer Hamburg unter bit.ly/2DfLqz2. Eine Anmeldung ist auch per Mail simone.wegemann@zaek-hh.de möglich.

Dr. Thomas Einfeldt

DGAZ-Landesbeauftragter Hamburg und Vizepräsident der Zahnärztekammer Hamburg