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Zahnmedizinische Versorgung in Wohn- und Pflegeheimen

Still ruht der See


Seniorenzahnheilkunde: Horst Willeweit mit einem Zwischenruf zum Stand der zahnmedizinischen Versorgung von Menschen in Wohn- und Pflegeheimen

Vornehmlich findet die Seniorenzahnheilkunde in jüngster Zeit in Ehrungsurkun­den und in Landes- und Bundesverdienstkreuzen sowie Vorträgen statt. Effektiv und umfassend in den Mündern der schutzbefohlenen, alten und morbiden Menschen hingegen weniger. Sehr zum Nachteil der Betroffenen. Dabei weist Paragraf 119 b SGB V vom 19. Dezember 2019 (bitte nachlesen) den Weg: Die Heimträger haben für eine regelmäßige, aufsuchende und nicht erst anlassbezogene medizinische Betreuung zu sorgen. Demnach ist die Zahnärzteschaft gerufen, tätig zu werden.

In der Folge sonnen sich Heimträger wie die zur flächendeckenden Versorgung verpflichteten KZVen in eilfertig verfassten Kooperationsverträgen (KOV) zwischen Einzelheim und -Einzelpraxis. Tendenz: stagnierend. Hernach „bewähren“ die Aktivitäten sich dann allzu oft in gelegentlichen 01-sen und gegebenenfalls Überweisungen in die Kieferchirurgie. Oder sie finden sich zur Freude der Heimaufsichten beziehungsweise des die Heime prüfenden Medizinischen Dienstes in den Akten.

Die Papiere sind in Ordnung, obwohl im Mund deutlicher Behandlungs- und/oder Pflegebedarf besteht. Gern tragen die Pflegebeauftragten in den Heimen in die Bewohnerakten auch ein „Patient:in putzt selbst“. Wenn überhaupt, wird die Zahnbürste dann von 13 bis 23 bewegt. Ende, aus.

Bekanntes Leistungsdefizit

Mir begegnen in aller Regel Zahnmediziner:innen, die, auf dieses Thema angesprochen, durchaus Schuldbewusstsein zeigen und sich durchaus des Leistungsdefizits an den ca. 850.000 Heimbewohnenden plus den ca. 1.400.000 häuslich allein in den Pflegegraden 4 und 5 (den höchsten), bewusst sind. An den „Arzt“ in der Berufsbezeichnung Zahnarzt mag man sich aber nicht so gern erinnern lassen.

Die Arbeit ist schwer, sie ruft nicht und setzt Selbstmotivation und soziale Kompetenz voraus. KONS, ENDO, Entfernung von Zahnbelägen/Soor (Candidose) sowie eine altersgerechte Prothetik mit Mut zur Pflege des Lückengebisses werden vernachlässigt. Im vergangenen Jahr meinte ein Behandler in einer Erörterungsrunde zur Seniorenzahnmedizin gar: „Völlig klar, im Heim behandelnd muss man an schwarz und bündig aus dem Kieferkamm herausguckenden Wurzeln vorbeisehen. Behandeln kann man so etwas im Heim nicht. Das bleibt dann eben so.“ Niemand aus der Runde widersprach. Na dann …

Ausdrücklich von dieser Situationsbeschreibung ausnehmen möchte ich diejenigen Zahnärzt:innen, die diesen Dienst an den Alten umfänglich und schon lange vor den KOV-Verträgen erbracht haben und weiter erbringen. Aus diesem Kreis höre ich, dass in der verflossenen Corona-Sperrzeit Patienten keine Zahnbürste gesehen haben. Heimpersonal ist eben kein Mundpflegepersonal. Da war dann die bereits erreichte Stabilisierung der oralen Verhältnisse schnell wieder verloren. 

Nach derzeitigem Stand werden aktuell lediglich um die 3 bis 5 Prozent der Heimbewohnenden im Sinne einer rundum stabi­lisierten Mundgesundheit erreicht. Das Delta zwischen Marktbedarf und Kooperationsverträgen ist deutlich. Auch die Anzahl der – mit Verlaub – „Schläfer“ mit Kooperationsvertrag sei erwähnt. Und hier zeige ich auf Heimleitungen wie auf Behandler:innen.

Gebäudemodell

Möglicher Lösungsvorschlag: Das Modell einer stationären Schwerpunktpraxis für die Seniorenzahnheilkunde

Es geht mit System auch anders

Würde die Stabilisierung der Mundverhältnisse gleich in den ersten Tagen nach Einzug ins Heim erbracht und die anschließende, regelmäßige Mundpflege im situationsgerechten Umfang erbracht, hätte die Zahnärzteschaft danach für das Restleben der Bewohnenden nichts mehr zu tun. Oder jedenfalls nur noch selten. Trainieren Mundpflegerinnen bei deren regelmäßigen Besuchen die im Heim tätigen Pflegefachkräfte, Pflege­kräfte und Pflegehilfskräfte mit, wird langfristig Besserung eintreten. Viel Hoffnung allerdings habe ich da nicht. Empfehlen kann ich, dass Zahnärzt:innen und zahnärztliches Assistenzpersonal sich selbst einmal für sagen wir zehn Tage die Zähne nicht putzen und dann die Zahnputztätigkeit im eigenen Mund einem Familienangehörigen, der nicht der Branche angehört, übertragen. Das gibt umgehend Erkenntnisse …!

Durch die aufsuchend tätige, fortgebildete ZFA, ich nenne sie ZFP (P = Pflege) können diese Mundpflegedienste für rund 30 Euro je Reihenbesuch im Heim wirtschaflich auskömmlich erbracht werden, nur eine Abrechnungsposition dafür muss her. Allein, Teile der Zahnärzteschaft streiten darüber, ob es denn verantwortbar sei, die ZFP ohne den physisch anwesenden Schatten eines Zahnarztes im Heim tätig sein zu lassen. Oma könnte ja den Deckel der Zahnpastatube aspirieren. Und überhaupt höhle man damit den Stand des Zahnarztes aus. Schließlich wird dann noch auf verbotene Wander-(zahn-)medizin und das Zahnheilkundegesetz von 1953 verwiesen. Ja, wie verbohrt und gestrig ist denn das?

Würden die 850.000 Menschen in den Heimen Deutschlands gleichmäßig von der Zahnärzteschaft Deutschlands behandelt – es würden rund 15 Patienten in Heimen auf einen jeden Zahnarzt anfallen. Bezüglich Routine und technischer Ausstattung so­wie dem Behandlungserfolg für diese besondere Patientengruppe wird aber auch in 3.000 kalten Wintern kein Schuh draus werden.

Eine Lösung steht im Modell der stationären Schwerpunktpraxis für die Seniorenzahnheilkunde bereit. Fachlich wie wirtschaftlich und organisatorisch ausgeplant trägt das Vorhaben den Betriebstitel: „Dente Victum“. Die dzw veröffentlichte dazu (dzw.de/modell-schwerpunktpraxis-seniorenzahnmedizin) Details dazu. Lediglich 140 solcher Schwerpunktpraxen für die Seniorenzahnmedizin Praxen mit je 3.000 Patientensitzungen pro Jahr decken den Heimbehandlungsbedarf ab. Ausgestattet für die speziellen Belange können Sitzungen schneller, schonender für die Patienten und arbeits- wie leistungsgerechter für die Behandlungsteams erbracht werden. Auch der für weite Teile der Sitzungen vorteilhaf­te Einsatz eines Anästhesisten wird professionalisiert. Und was die notwendigen Fahrdienste Heim – Schwerpunktpraxis – Heim angeht: die fahren gerne, wenn sie in und an den Schwerpunktpraxen ideale Aus- und Einladebedingungen sowie professionelle Umlagerungsmöglichkeiten für die Fahrgäste vorfinden.

Grundriss

So könnte der Grundriss einer Schwerpunktpraxis im Stil eines Drive-in gestaltet werden (Plan Erdgeschoss)

Auch die durchaus aufwendige verwaltungstechnische Vorbereitung wie Medikamentenmanagement und Kontakte zu weiteren Medizindisziplinen vor den Sitzungen ist aus einer solchen Schwerpunktpraxis präzise und störungsarm zu leisten, man ist halt Spezialist.

Eine Frage der Gestaltungsform 

Bleibt die Betreiberform zu beleuchten. Grundsätzlich stehen sämtliche Formen der Zulassung/Niederlassung zur Verfügung. Kaum ein Behandler jedoch wird diesen Dienst an den Senioren ausschließlich und lebenslang tun wollen. Das wäre zu anstrengend, fachlich nicht erfüllend. Obwohl wirtschaftlich recht auskömmlich. Nach vielen Diskussionen, gerade auch mit solchen Zahnärzten, die bereits in der Sache routiniert sind, kommt es immer wieder zur Idee einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis, zusammengeführt aus mehreren Stammpraxen. Diese Praxen werden zumeist Mehrbehandlerpraxen sein, die jeweils für eine Dekade einen Kollegen für die Arbeit in der Schwerpunktpraxis abstellen. Gern mit dem Interessengebiet Oralchirurgie. So kann die Schwerpunktpraxis über das Jahr voll ausgelastet betrieben werden.

Eine andere Idee ist, dass sich in dieser Schwerpunktpraxis beispielsweise ein Oralchirurg in Vollzeittätigkeit niederlässt und sich weitere Zahnärzte aus verschiedenen Praxen ringsum für feste Zeiten binden, Senioren zu behandeln, immer mit der möglichen fachlichen Unterstützung des Oralchirurgen. Letzterer betreibt die Praxis auch für die allgemeinen Patienten, die ihn direkt aufsuchen oder die ihm per Überweisung von zahnärztlichen Kollegen zugewiesen werden. Ganz so, wie ein Zahnarzt/Oralchirurg auch sonst ausgelastet wird.

Als Betriebsrahmen bietet sich die Form der Genossenschaft an. So stehen in meinem heimatlichen Bielefeld zwei namhaf­te Sozialträger mit Krankenhäusern, Altenheimen etc. bereit, eine solche Praxis technisch/baulich zu realisieren. Allerdings will man dort nachvollziehbarerweise von der Betreiberseite eine vertragliche Absicherung für den durchgehenden, dauerhaften Ganzjahresbetrieb.

Allein der erforderliche Reflex aus der Zahnärzteschaft, der ZÄK/der KZV, fehlt. Derzeit prüft die Landesregierung NRW mit ihren Gremien im Gesundheitsressort, ob und wie Schwung an die Sache zu bringen ist. Dass da ein Delta zu füllen ist, ist wohl erkannt. Man darf gespannt sein.

Horst Willeweit

Nach 45 Jahren als Praxiseinrichter ist Horst Willeweit im Feld der Dienstleistungen für Dentalhandel, Herstellung sowie der Wertermittlung zahnärztlicher Praxen und zahntechnischer Labore bundesweit tätig (Abgaben/Übernahmen, materiell wie ideell/Goodwill).
Kontakt auf www.willeweit.de

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